Erst Eros, Lust und Leidenschaft – dann Liebe
Thamar holt sich die Sinneslust
Falls Sie religiös sind: Sinneslust ist ein Gebot der Bibel. Jedenfalls behauptet dies der ausgewiesene Bibelkenner Rabbi Shmuley Boteach. Er beruft sich auf das Heiligste, was das sogenannte „Alte Testament“ beinhaltet, nämlich die Zehn Gebote. Dort heißt es im letzten Gebot: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib.“ Das bedeutet, so der Rabbi, man solle sein „eigenes Weib begehren, nicht das des Nächsten“.
Sinnliche Lust ist also ein Prinzip der Bibel – von der Abtötung der Fleischeslust kann keine Rede sein, und niemand tut wohl, der sich unter Berufung auf Gottes Ordnung dafür entscheidet, enthaltsam zu leben. (1) Neben der Auslegung des zehnten Gebots führt der Rabbi vor allem das Hohelied Salomons an, das ein anderer jüdischer Gelehrter, als Metapher für die Liebe zwischen der frommen Seele zu Gott verstand. Es ist, wie manchem bekannt sein dürfte, ein sehr leidenschaftliches, erotisches Gedicht, dieses Hohelied.
Eheliche Langeweile und Wollust
In der heutigen Zeit wir manchem Mann (und sicherlich vielen Frauen ebenso) bewusst, dass die Ehe Langeweile erzeugt. Die schreckliche Wahrheit ist: Diese eheliche Langeweile wird oftmals mit scheinbar „erregenden“ Seitensprüngen überwunden. Denn was in der Ehe nach Jahren noch möglich erscheint, ist bekanntlich so schrecklich legal, und das ist schrecklich langweilig.
Der Rabbi fragt nun:
Wie also kann die Ehe, die auf einem Vertrag und auf Exklusivität beruht, gleichzeitig von den Freuden der Sünde und des Eros profitieren?
Und er antwortet:
Die Antwort ist, dass das Leben im Allgemeinen und die Ehe im Besonderen sündiger werden müssen. So seltsam es klingt – innerhalb der Ehe muss Platz sein für einen sündigen Unterboden, eine Art verbotenen Vertrag, der den erotischen Funken erzeugt.
Die Frau auf Partnersuche - hat sie ein Recht auf Lustbefriedigung?
Klar – damit ist nichts über die heutige Frau auf Partnersuche gesagt – aber auch sie hat ein Recht auf die Erfüllung ihrer Sexualität. Das, was Christen als das „Alte Testament“ bezeichnen, kennt eine biblische Frau namens Thamar. Sie setzt ihr Recht auf Sexualität risikoreich und beherzt durch. Wenn es die biblische Thamar konnte, in einer Zeit, als sie dafür hätte gesteinigt oder verbrannt werden können, dann kann es jede heutige Frau auch, solange sie geschieden, verwitwet oder ledig ist.
Bei den meisten Frauen ist es ja gar nicht die Furcht vor dem imaginären Strafgericht, das auf sie niederprasseln wird. Es ist vielmehr die tief verankerte Angst, jemand könnte ihnen „übel nachreden“. Übel nachreden wegen was? Weil Sie getan haben, was menschlicher gar nicht sein kann? Weil Sie sich der Lust hingegen haben. Vielleicht, weil sie dies getan haben? (2):
Lass deine Brüste sein wie Trauben am Weinstock und den Duft deines Atems wie Äpfel; lass deinen Mund sein wie guten Wein.
Eros, Lust und Leidenschaft sind der Schlüssel zum tiefen Empfinden für das andere Geschlecht – die Liebe ist eher das Netz, das wir miteinander weben. Um auch in Zeiten zueinanderzuhalten, in denen aus dem einen oder anderen Grund keine Leidenschaft mehr aufkommen will.
Und vielleicht sollten sich Eheleute oder langfristig zusammenlebende Paare wirklich einmal überlegen, ob sie sich nicht einen geheimen, frivolen und überaus sündigen „Unterboden“ zulegen, in dem es nichts als rauschende Lust gibt.
(1) Die sogenannten „Apostel“ haben etwas anderes behauptet. Es ist jedoch die Frage, ob aus ihnen Gott spricht oder die eigene, höchst private Überzeugung.
(2) Im Hohelied wird an keiner Stelle erwähnt, dass sich das erotische Gedicht an die Ehefrau wendet.
Bild: Judah and Thamar von Horace Vernet, 1840