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Warnung! Teile dieser Texte könnten mithilfe menschlicher Intelligenz erzeugt worden sein.

Wie die Psychologie zur Küchenpsychologie wird

Wie die Psychologie zur Küchenpsychologie wird - ein Beitrag zur psychologischen Kette von wissenschaftlichen Behauptungen bis zur Zuweisung durch Laien am Beispiel von Narzissmus und Machiavellismus

Psychologen und Psychiater bemühen sich darum, bestimmte „Befindlichkeiten“ des Menschen zu katalogisieren. Das müssen sie tun, um ihre eigenen Feststellungen in ein System einzuordnen und darüber miteinander zu kommunizieren. Und letztendlich will auch ihr Patient oder Klient eine Diagnose darüber, an was er nun eigentlich leidet.

Narzissmus als Basis

Durch die Medien gelangen solche „Erkenntnisse“ dann an jeden, der sich kompetent fühlt andere „einzuordnen“. Dies betrifft heute vor allem den Begriff „Narzisstisch“, mit dem anderen Menschen abgewertet werden sollen. Sie werden auch als egozentrisch, ich-bezogen oder selbstherrlich eingestuft.

Machiavellismus - das Böse lässt grüßen

Selbstherrlichkeit wird wissenschaftlich oft als „Machiavellismus“ bezeichnet – der ist noch nicht ganz so populär wie der Narzissmus - aber das ist nur eine Frage der Zeit. Sollte sich der Begriff im Alltag dennoch nicht durchsetzen, so liegt das wahrscheinlich daran, dass den Küchenpsychologen der Begriff „Machiavellismus“ oder „Machiavellist(in)“, nicht so leicht über die Lippen geht.

Schauen wir mal, was einen machiavellistischen Menschen auszeichnet:

1. Er(sie) legt wenig Wert auf (enge) persönliche Beziehungen.
2. Er(sie) fühlt sich wenig an übliche ethische Regeln gebunden.
3. Er(sie) orientiert sich überwiegend an Realitäten.
4. Woraus folgt, dass er/sie sich selten auf Ideologien einlässt.


(Nach Dorsch, vereinfacht).

Manche Wissenschaftler haben einen solchen Menschen allerdings längst als „dunkle Gestalt“ definiert. Es gibt bereits zwei Theorien, nachdem man diese Eigenschaften der „dunklen Seite“ des Menschseins zurechnet. Das riecht ein bisschen nach Religion – aha, die dunklen Seiten. Das Böse in uns.

Die Verbreitung - von der Behauptung bis zur Zuweisung

Nun sind es allerdings nicht nur Presseleute und Küchenpsychologen beteiligt, sondern auch „gestandene“ Psychologen. Dazu ein Ausschnitt aus „Psychologie Heute“ (Tamás Bereczkei zitierend):

Sie missachten moralische Prinzipien und nutzen die Schwäche und Leichtgläubigkeit von anderen aus. Täuschen und Manipulieren zählen zu ihren essenziellen Charaktermerkmalen.

Die Ketten von einer akzeptablen wissenschaftlichen Behauptung bis zum Volksglauben verläuft ungefähr so:

- Psychologen stellen Behauptungen auf, die an sich keine Ideologien beinhalten.
- Diese Theorien werden aber erst beachtet, wenn sie überspitzt formuliert werden oder populären Ideologien folgen.
- Das Ergebnis wird von der Presse begierig aufgenommen, sobald eine Wertung darin enthalten ist.
- Die Küchenpsychologen nehmen solche Beiträge aus der Presse auf und versuchen, Volksweisheiten daraus zu konstruieren.
- Am Ende glauben viele, ihre Mitmenschen, Freunde und Partner seien tatsächlich Narzissten, Machiavellisten, Egozentriker, Sadisten und vieles mehr.


Wer profitiert von Behauptungen und Zuweisungen?

Die Frage, die sich jeder stellen sollte, wäre: Wem nützt es?

Und indem ich diese Frage, könnte ich schon als machiavellistische Person eingestuft werden, weil ich nach den Realitäten frage.

Masche der Narzissten oder die Masche „Narzissmus“?

Narzissmus und Arroganz - nicht an ein Geschlecht oder ein Alter gebunden
Wer dieser Tage ins Internet schaut, finden zahllose Autorinnen und Autoren, die eine Masche einreiten: der Fluch des Narzissmus. Frauen sollen Opfer solcher „Maschen“ sein, während die Maschen selber von Männern ausgehen. Und sogenannte Lifecoaches stehen schon Schlange, um Hilfe anzubieten. Ich lese von den Maschen der Narzissten in Beziehungen, von ihren „typischen Aussagen“ und der „perversen Kommunikation“ der Narzissten. Und natürlich fällt schnell das Wort „toxisch“.

Die plötzliche Invasion der Narzissten - und die Glaubwürdigkeit

Hier stehen die armen, edlen Menschen, die „Opfer“ werden, dort die riesige Invasionsarmee der gefräßigen Narzissten, die Gift über diese Erde streut. Da frage ich mich doch unwillkürlich: Haben diejenigen, die so etwas behaupten, noch alle Tassen im Schrank?

Wir haben in der Vergangenheit einige Phänomen dieser Art erlebt: Begriffsverfälschungen, Wortneubildungen und das Umdefinieren der Wahrheit. Beispiel wären die „Sexsucht“, die „Generation Porno“ oder auch „nur“ der allgegenwärtige „Burn-out“
.
Unschärfe im Begriff, Psychiatrie und Alltag

Und nun also der Narzissmus. Er existiert in zwei Formen: Die eine entstammt dem Volksmund und gilt als bildungsbürgerlich. Er bezeichnet das Problem des Narzisses, in sich selbst verliebt zu sein und seine Persönlichkeit als „herausragend und bewundernswert“ zu bewerten.

Die andere Form des Narzissmus ist eine Störung der Persönlichkeit, die tatsächlich auch in der Psychiatrie bekannt ist. (ICD-10, DSM-5). Obgleich die Kriterien als relativ „unscharf“ gelten, gelten bestimmte Eigenschaften als Merkmale für die Bewertung (1):

1. Großartigkeit.
2. Grenzenlosigkeit.
3. Herausragende Einzigartigkeit.
4. Einfordern von Bewunderung.
5. Anspruchsvoll im Sinne von „Ansprüche an andere stellen“.
6. Ausbeutung (emotional, finanziell, sozial) auch in Beziehungen.
7. Gefühlskälte oder bewusste Ignorieren von Gefühlen anderer.
8. Neid auf andere.
9. Überheblichkeit.

Jahrmarkt der Gründe – Worte sind oft mehrdeutig

Problematisch sind diese Kriterien aus zwei Gründen. Erstens, weil sich echte „Narzissten“ kaum selbst in dieses Raster einordnen werden – sie stehen aufgrund ihrer „Großartigkeit“ über den Dingen. Und zweitens, weil auch viele „ganz gewöhnliche“ Menschen solche Gedanken haben. Schlimmer, als sich selbst fälschlicherweise als „Narzissten“ einzuordnen ist dabei, von anderen so bezeichnet und damit disqualifiziert zu werden.

Nehmen wir den Begriff „Grenzenlosigkeit“. Normalerweise haben wir alle Grenzen, und manche von uns kennen sie sogar. Ein „echter“ Narzisst (oder eine Narzisstin) will aber nach den Sternen greifen: Das beste Auto fahren, den besten Job bekommen, den erfolgreichsten Mann heiraten, die schönste Frau zu sein. Alls dies würden gewöhnliche Menschen als „Wunschträume“ ansehen – der Narzisst oder die Narzisstin aber nicht. Ebenso verhält e sich mit den Ansprüchen an andere: Der Wunsch ist verständlich, aber die Grenzen sind ebenfalls bekannt. Der gewöhnliche Mensch macht „Abstriche“, der Narzisst besteht darauf, einen Anspruch zu haben und versucht mit zweifelhaften Mitteln, ihn auch durchzusetzen.

Die Masche Narzissmus

Es gibt Menschen, die Narzissmus predigen, ohne den Begriff zu verwenden: Persönlichkeitsentwickler, auch „Lifecoaches“ genannt. Und die gleiche Branche lehrt auch, wie man sich gegen „Narzissten“ wehren kann, diesmal ausdrücklich unter diesem Etikett.

Pseudo-Narzissmus durch Erfolgspläne?

Der Druck, sich selbst zu optimieren, fördert mit Sicherheit einzelne Persönlichkeitsmerkmale, die im Volksmund als „narzisstisch“ gelten. Diesen Makel hatten „Erfolgspläne“ schon immer, doch wandelten sich entsprechende Trainingsprogramme früher an Menschen, die ihre Defizite erkannten oder ihre Potenziale tatsächlich nicht ausschöpften. Heute wird im Internet jede und jeder damit konfrontiert, nicht „perfekt“ zu sein – und diesen „Makel“ möglichst zu beseitigen.

Verbreiter der Masche „Narzissmus“ – überall gegenwärtig

Die Verbreiter der Narzissmus-Masche? Im Grunde genommen sind sie selbst „Pseudo-Narzissten“, also Wichtigtuer(innen) die sozusagen den Boden düngen, auf dem die Saat aufgehen soll. Im Grunde helfen Narzissten anderen Narzissten, um Narzissten zu erzeugen. Es sei denn, dass sie Kurse anbieten, sich gegen Narzissten zu wehren. Und wer glaubt, ich rede von Männern: Narzisstinnen sind ebenso gemeint – und sie tauchen immer häufiger in diesem Kreislauf auf.

Wie man alldem ein Ende machen kann? Ein/aus Taste am Computer, Handy oder Fernseher häufiger mal auf „Aus“ stellen – oder „soziale Netzwerke“ meiden. Aus meiner Sicht immer noch der beste Rat.

(1) Die Eigenschaften wurden aus einem längeren Text extrahiert. Wer mehr wissen will, sollte an die Quellen anknöpfen, die allerdings ebenfalls häufig unscharfe Sätze enthalten. Zum Thema Narzissmus mehr hier (klicken lohnt sich). Zudem muss ein „Narzisst“ nicht alle Kriterien erfüllen, um als solcher bezeichnet zu werden.

Future Faking oder Selbstbetrug?

Illusion aus dem 19. Jahrhundert
Aha, da wird mir ein neuer „Dating-Trend“ serviert: Future Faking. Wie immer, wäge ich gründlich ab, bevor ich über sogenannte „Trends“ schreibe. Denn erstens ist noch lange kein Trend, was „dann und wann“ passiert. Und zweitens ist ausgesprochen populär, irgendetwas aufzuschnappen und dem dann einen Namen (ein Etikett) zu verpassen.

Dieser Tage las ich in „Esquire“, es handele sich um einen Anti-Trend, der „ebenso mies“ sei wie ein paar andere, etwa Orbiting oder Ghosting.

Alles Narzissmus oder was?

Wenn wir mal genau hingucken, dann wird der neue „Trend“ oder „Anti-Trend“ mit einem anderen, ständig verwendeten Etikett verwendet: Dem Narzissmus, und der wird nun allerdings relativiert (1):

Die pathologische narzisstische Persönlichkeitsstörung betrifft nach Studien etwa 0,4 bis 0,8 Prozent der Bevölkerung.

Das allerdings scheint nicht ganz zu stimmen, denn laut anderen Quellen sind es immerhin sechs Prozent, wobei auch psychiatrische Diagnosen nicht ganz frei von Subjektivität sind. Dennoch (2):

Männer erhalten die Diagnose mit 7,7 Prozent etwas häufiger als Frauen mit 4,8 Prozent.

Bleiben wir mal bei sechs Prozent, so heißt das, dass du etwa 17 Kandidatinnen oder Kandidaten treffen musst, um auf einen Narzissten oder eine Narzisstin zu treffen. Wobei Frauen erfahrungsgemäß übrigens eher ein „gutes Recht“ für sich in Anspruch nehmen, „übertrieben eitel“ oder gar „anspruchsvoll“ gegenüber anderen sein zu müssen. Das ist dann zwar kein „pathologischer Narzissmus“, aber diese Lebenshaltungen erden ebenfalls als wenig positiv angesehen. Der Trick beim „gewöhnlichen Narzissmus“ ist ja, sich selbst als „zu hoch zu bewerten“ und andere davon zu überzeugen, dass es stimmt. Man sagt abseits der Psychologie auch „Fake It Before You Make It“, was übersetzt etwas so viel heißt: Wenn du andere davon überzeugen kannst, dass du ein besonderer Mensch bist, obwohl es nicht stimmt, dann wirst du auch einer.

Dates, Ansprüche, Betrug und Selbstbetrug

Nachdem dies gesagt und geschrieben wurde, will ich noch einmal auf „erste Dates“ zurückkommen. Unter den Menschen, die darin nicht erfahren sind, gibt es den Trend, die Zukunft gleich bei den ersten Dates (möglicherweise nicht beim allerersten) auszurollen. Das leistet nicht nur dem Selbstbetrug Vorschub, sondern zwingt auch den Partner/die Partnerin, zu weit nach vorne zu denken. Und ist man erst einmal in einer zwar rosigen, aber völlig unscharfen Zukunft, dann gehen die Illusionen eben weiter.

Anspruchshaltung, Selbstbetrug und Illusionen gehen Hand-in-Hand. Das ist leicht beweisbar, denn der „Anspruch“ trifft bestenfalls auf einen von fünf Dating-Partnern zu. Die Spanne schwankt je nach Anspruchshaltung natürlich erheblich. Nun sind wir aber nicht an der Losbude: Nicht jedes fünfte Los gewinnt, sondern dahinter steht wieder ein Mensch, der seinerseits Ansprüche und Lebensentwürfe hat. Die Erfolgsaussichten sinken damit auf wenige Prozent – sogar gegen null.

Und die eigene Verantwortung?

Und auf diese Weise geraten Menschen an Betrüger(innen) und Faker(innen). Und sie betrügen sich selbst, indem sie die Illusionen weiterhin nähren.

Gegenseitige Illusionen verhelfen vielen Menschen immerhin zu einer kurzen, schönen Zeit – aber dann müssen sich beide darüber klar sein, dass ihre Beziehung nicht ewig fortgeführt werden kann.


Quellen: (1) Esquire.
(2) Quarks.

Bild: Joseph Apoux zugeschrieben, der von 1846-1910 lebte. Das Bild wurde retuschiert, weil es im Original zu "offensiv" gewesen wäre.