Jeder außerhalb der Welt der Schönredner wird dem oben genannten Satz zustimmen: „sinnliche Verführung ist für die Partnersuche wichtiger als ein akademisches Diplom“. Nun werden akademische Diplome (neuerdings Bachelor genannt, gleichwertig mit dem Handwerksmeister) ja in letzter Zeit inflationär vergeben, während Diplome in der Liebeskunst noch weitgehend unbekannt sind. Bei der zweigeteilten Welt in „Geist“ und „Emotionen“ denke ich auch nicht, dass sich dies sobald ändert. Sinnliche Fähigkeiten entwicklen gegenwärtig nur noch Akademikerinnen, die sich beruflich mit der Präsentationskunst beschäftigen – von der Schauspielerin bis zur Stripperin.

Einstmals sangen in den besten Häusern keine diplomierten Opern- oder Operettensängerinnen, sondern Frauen mit schicken runden Hüften und gewaltigen Oberweiten. Die Zuhörer wollten offenbar auch gar kein Belcanto, sondern sie bevorzugten, die singenden Damen in halbseidenen Gewändern zu sehen: das Operettenhaus als Krypto-Bordell und das Ballett als Frischfleisch-Lieferant? Das war weder den Pariser noch den Wiener Bürgern unbekannt. Die Ikone der Operette war Hortense Schneider, die ganze Operettensäle mit ihrer Sinnlichkeit verrückt machte und mit so manchem Adligen das Bett teilte – von den ungezählten Ballettratten ganz zu schweigen, an denen sich der Adel verlustierte.

Die Zeiten haben sich geändert – und die Männer dürfen sich auch bei Macht und Einfluss nicht mehr einfach nehmen, was ihnen gefällt – das ist eine hervorragende Idee. Doch der verführerische Reiz einer Frau, die sich nicht verhält wie alle anderen, sondern neben ihren geistigen und sozialen Gaben auch noch ihre Sinnlichkeit zu präsentieren vermag – das hat sich nicht verändert. Feministinnen, Gutmenschen und Etepetete-Frauen zum Trotz haben sie immer noch die besseren Chancen, an den Mann zu kommen – ja bitte – und warum denn eigentlich nicht?

Bild: Kolorierung nach einem historischen Foto.