Skip to content
 Liebeszeitung - Liebe, Lust und Sex
Warnung! Teile dieser Texte könnten mithilfe menschlicher Intelligenz erzeugt worden sein.

Wer traut sich an erotische Literatur?

Wer von unserer Leserinnen und Lesern traut sich an erotische Literatur? Wer möchte sie schreiben, diskutieren oder bewerten? Wie sollte die erotische Literatur der Zukunft aussehen? Welche Rolle sollten Frauen darin spielen?

Schreibt uns oder ruft uns an - wir hören und lesen gerne eure Meinung.
Kategorien: archive | 0 Kommentare
Tags für diesen Artikel: ,
Abstimmungszeitraum abgelaufen.
Derzeitige Beurteilung: keine, 0 Stimme(n) 2045 Klicks

Wie schreibt man erotische Literatur heute?



„Erotik selbst ist kein Dauerzustand, sondern Entwicklung“ schreibt ein Kenner erotischer Romane 1931 – und oft fühle ich mich beim Lesen heutiger, vorgeblich „erotischer“ Literatur im Internet daran erinnert. Freilich standen zu Lebzeiten des Autors vor allem erotische Romane zur Verfügung, allen voran solche wie „Julchen und Jettchen auf der Leipziger Messe“, ein Roman, der sich mit dem Wechselspiel von Unschuld und Begierde zweier junger Frauen befasst. Dabei muss man bedenken, dass zur Entstehungszeit der meisten historischen erotischen Romane Ende des 19. Jahrhunderts den Frauen noch nicht einmal eine eigene sexuelle Begierde zugesprochen wurde – und schon deshalb waren diese Romane einerseits so begehrt, wie sie andererseits verfemt waren.

Der erotische Entwicklungsroman - ein Ausläufer?

Der klassische erotische Roman umspannt in der Regel einen weiten Bogen, besonders dann, wenn er als eine Art „Entwicklungsroman“ angelegt ist: wieder am Beispiel von „Julchen und Jettchen“: Zu Anfang werden keuschen, aber lebenshungrige junge Mädchen beschrieben, die am Ende zu erblühten, sexuell inzwischen kenntnisreichen jungen Frauen wurden. Noch stärker erleben wir die Entwicklung in „Weiberherrschaft“: Der Held kommt völlig unverdorben in die Obhut einer Gouvernante und verlässt ihre „Zucht unter dem Unterrock“ als in jeder Hinsicht liebeserfahrener, mit Bisexualität vertrauter und mit List und Rohrstock unterwürfig gemachter junger Mann.

Erotische Romane handeln also oft von der „Ausbildung“ eines noch relativ jungen und unerfahrenen Menschen hin zum liebesbewanderten Geliebten, zum Sklaven, zum Ehepartner oder zur Luxushure.

Weil es sehr schwierig ist, erotische Entwicklungsromane zu schreiben, versuchten sich Autoren an Novellen, Briefromanen und erotischen Fragmenten, gelegentlich auch an „Kalendergeschichten“, den Vorgängern der heutigen Kurzgeschichten.

Episoden der Liebe wie Perlen an einer Kette und Kurzgeschichten

Der Sinn war immer der Gleiche: Man schilderte die Episoden, die die Heldinnen oder Helden durchliefen, und konnte auf diese Weise ein größeres Spektrum von Aktivitäten ausbreiten, wobei eine Geschichte nicht unbedingt auf eine andere unmittelbar Bezug nehmen muss – dies ist sogar an den erotischen Romanen erkennbar, die sich zumindest teilweise auch in Abschnitte zerteilen ließen: Typisch ist dies beispielsweise für den erwähnten erotischen Entwicklungsroman „Weiberherrschaft“. Ich erwähne hier bewusst nur historische Romane, bei den modernen Romanen dieses Genres ist es jedoch kaum anders.

In der heutigen Zeit hat sich die literarische Form der erotischen Geschichte stark auf die Kurzgeschichte, bestenfalls einmal auf eine Novelle zurückgezogen. Bei der Novelle steht nach wie vor eine Entwicklung im Vordergrund, wenngleich diese einen viel kürzeren Zeitraum umfasst, während bei der Kurzgeschichte vor allem die direkten und unmittelbaren Empfindungen der Beteiligten zählen. Dies entspricht ganz den Zeichen der Zeit: Man will beispielsweise wissen, wie sich ein anderer Mensch beim ersten Analverkehr gefühlt hat – und nicht mehr, wie dieser zustande kam, mehrerer Male mit unterschiedlichen Partnern wiederholt wurde und schließlich hingenommen oder wieder aufgegeben wurde.

Die episodenhafte Kurzgeschichte enthebt den Schreiber auch vom größten Problem des erotischen Romans: Heldinnen und Helden müssen nicht ständig geil sein und ein sexuelles Erlebnis nach dem anderen haben, sonder man kann ein einziges sinnliches Erlebnis schildern, das freilich auch eine durchgehende erotische Spannung haben muss.

Erotik heute: Selbstständige Frauen, direkter Einstieg, kürzere Formen

Was ist nun eigentlich neu an den heutigen erotischen Romanen, Novellen und Kurzgeschichten?

Nun, die „alten“ erotischen Roman lebten sehr davon, dass Männer auszogen, um erotische Erlebnisse zu haben. Ehefrauen, Bedienstete und Sklaven waren bereits in biblischen Zeiten Eigentum des Mannes, sodass man mit ihnen „tun und lassen konnte, was man wollte“. Noch im 19. Jahrhundert wurden deshalb oft Bedienstete zu Liebhabern auserkoren, und in den erotischen Romanen stand zumindest explizit in den Verträgen, zu welchen erotischen Diensten sie sich verpflichteten.

Schon im 19. Jahrhundert treten aber auch Frauen als selbstständige, gefährliche Verführerinnen der weiblichen wie der männlichen Jugend hervor – eine Tradition, die sich bis heute fortsetzt. Waren es zu Anfang noch Frauen adliger Herkunft, die sich in den Romanen als Verführerinnen hervortaten, so wurden mit den Jahren immer mehr bürgerliche Frauen zu Verführerinnen. Lediglich beim Alter wurde man vorsichtig: Weder die Verführerinnen noch die Verführten dürfen heute aufgrund der “politischen Korrektheit“ mehr minderjährig sein, was man dadurch erericht, das Alter einfach wegzulassen.

Auch die bevorzugten Standorte, wie einsame Villen außerhalb jeder öffentlichen Kontrolle, Internate, exotische Länder und dergleichen sind längst nicht mehr so gefragt wie früher, denn in vielen alten Roman musste noch oft ein Vorwand gefunden werden, warum der freie Wille der Heldinnen und Helden plötzlich gebrochen werden konnte. Internate waren hier ideale Orte, weil sie ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten hatten, und vorzugsweise wurde der Orient als Fluchtort gewählt, an dem Frauen nach Auffassung der erotischen Literaten keine Rechte mehr hatten.

Heute kann die Verführung zu etwas „Neuem“ überall und in relativ kurzer Zeit stattfinden. Man geht nicht mehr davon aus, dass eine „sehr große Schwelle“ überwunden werden muss wie sie beispielsweise die Entjungferung als völlige sexuelles Neuland darstellt. Heute gibt es nicht mehr das eine „erste Mal“ was so interessant ist, sondern viele „erste Male“ (ich könnte ihnen leicht ein paar Dutzend nennen) die sich dann in erotischen Kurzgeschichten niederschlagen können.

Was meint ihr? Und wie steht ihr generell zur erotischen Literatur? Schreibt ihr erotische Kurzgeschichten? Wie geht ihr mit erotischen Schilderungen um?

Literaturangaben:
"Weiberherrschaft": 1893 in England zum ersten Mal erschienen, seit hier in mehreren deutschen Ausgaben aufgelegt und immer wieder verboten worden. Veröffentlicht unter dem Pseudonym "Julian Robinson" oder "Viscount Ladywood", ursprünglich als "Gynecocracy" oder "The Petticoat Dominant" oder "Woman's Revenge" veröfftnlicht.
Mehr über "Julchen und Jettchen" bei lechzen.de
Zitat aus "Geschichte der erotischen Literatur" von Dr. Paul Englisch (1931)
Verführung und Flagellation von weiblichen Bediensteten zum Beispiel in "Die Kallipygen" (1889)
Bild oben: Historische Ausgabe von "Gamiani" (erscheinen 1907), im Reprint erhältlich bei Amazon.