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 Liebeszeitung - Liebe, Lust und Sex
Warnung! Teile dieser Texte könnten mithilfe menschlicher Intelligenz erzeugt worden sein.

Beziehung ist das, was man daraus macht

die bürgerehe des 19. jahhunderts im 21. jahrhundert?


Unser Leben hat sich so schnell verändert, dass manche Menschen die neue Zeit einfach nicht nachvollziehen können. Das Bild der „Familie, das heute in den Köpfen herumgeistert, ist immer noch das Bürgerbild des 19. Jahrhunderts – und daher rührt auch das Bild von Partnerschaft und Ehe, das konservative Kreise nach wie vor haben. Mal ganz grob: Ein Mann findet eine Frau, die zwar noch einen Beruf ausüben darf, dann aber kündigen und folgen muss, wohin der Mann auch geht.

Beziehungen romantisch verklärt

Das Bild ist romantisch verklärt – und es nützt uns nichts mehr in einer Zeit, in der beide Partner Karrieren im In- und Ausland machen können. Wie können wir aber damit umgehen, dass immer mehr Beziehungen durch das Internet „aus der Ferne“ geführt werden? Sollte man den Menschen raten: „Um Himmels willen, tut es nicht?“

Soeben fand ich einen Ratgeber, der dies dazu wissen wollte:

Gerade in der Anfangszeit einer Beziehung nur die Wochenenden für sich zu haben und möglicherweise davon noch nicht mal jedes - das ist der blanke Horror und tut einer Beziehung nicht nur mal nicht gut, sondern bremst sie auch ungemein.

Nun war dies kein professioneller Berater, sodass es interessant ist, auch noch die Meinung des Psychologen Markus Ernst dazu zu hören:

Ein gemeinsamer Alltag mit allem, was dazu gehört, inklusive Streit, ist wichtiger Bestandteil einer Paarbeziehung. In einer Fernbeziehung lebende Paare haben diese konstruktive und Vertrauen schaffende Möglichkeit der Konfrontation nicht, sondern sind vielmehr darauf bedacht, die kurze Phase des Zusammenseins möglichst harmonisch zu gestalten“.

(Ich erkenne gerne an, dass Herr Ernst auch noch vom Wert einer „gemeinsamen Perspektive“ sprach, was diese Aussage etwas abmildert)

Die beiden Fachleute begehen einen gemeinsamen Fehler: Sie beantworten die Frage nicht, die ursprünglich gestellt wurde, sondern verlieren sich in Allgemeinplätze über Beziehungen im Allgemeinen und über Fernbeziehungen im Besonderen. Richtig ist: Die Bestandteile der Paarbeziehung bestimmen allein die Beteiligten, und niemand sonst, und auch nur sie legen für sich fest, was der „blanke Horror“ ist und was der Beziehung „gut tut“ und was nicht.

"Frische" Fernbeziehungen werden meist bewusst eingegangen

Wer willentlich eine Fernbeziehung eingeht, tut dies ja nicht, weil der beste Partner um die nächste Ecke herum gewohnt hätte, sondern weil er in der Enge seiner Kleinstadt oder sonstigen Umgebung nicht den Menschen fand, mit dem er eine Beziehung beginnen wollte. Es gibt kaum einen Partnersuchende, der nicht weiß, dass er damit ein Risiko eingeht, aber dieses Risiko macht die Beziehung noch viel interessante: Sie hält in der Regel auch nicht wegen der Ferne (fehlende Konflikte, Wochenendfriede) sondern trotz der durch die Entfernung entstehenden finanziellen und zeitlichen Belastungen. Wird sie wirklich auf Dauer geschlossen, dann hält sie auch den Anfeindungen durch Dritte („euch fehlt ja der Alltag“) und durch potenzielle Eindringlinge statt („weißt du, wenn wir zusammenkämen, würde ich dich jeden Tag verwöhnen“).

Paare in Fernbeziehungen wissen zumeist um Vorteile, Nachteile und Risiken

Wer all diese Zeitverluste durch Fernbeziehungen erträgt, wer bereit ist, die Mehrkosten zu bezahlen, wer sich erfolgreich den Nachstellungen der „Konkurrenz“ wiedersetzt und die Unkenrufe der Besserwisser nicht hört – der wird doch wohl eine festere Beziehung aufbauen können als zwei Leute, die sich außer am Wochenende auch noch am Mittwoch dazwischen sehen – mehr ist doch beim erfolgreichen Menschen sowieso nicht drin. Dazu kommt noch: Man wird ja schließlich auch noch einmal seinen eigenen Gedanken nachhängen und sich dafür zwei Tage Freiheit ausbitten dürfen, auch wenn man gerade frisch verliebt ist.

Beziehungen sind genau das, was da Paar daraus macht

Eine Beziehung, so zeigt der Alltag unserer Mitmenschen immer wieder, ist genau das, was das Paar daraus macht. Die meisten Paare, die sich auf die Entfernung kennengelernt haben, planen freilich irgendwie und irgendwann einmal eine gemeinsame Wohnung. Nach einigen Jahren ist dies meist kein so großes Problem mehr wie zu Anfang, wie die Sicherheit der Beziehung die Unsicherheit des Arbeitsplatzwechsels aufwiegt. Dies aber schon am Anfang zu fordern, wie auch zu empfehlen ist – mit Verlaub – grober Unfug. Es entspricht haargenau den Vorstellungen es Bürgertums im 19. Jahrhundert, in denen dies der übliche Weg war, um zusammenzukommen.

Aus der Ferne zur Nähe - der attraktive Weg

Der Weg aus der Ferne zur Nähe ist, auch wenn er Jahre dauert, der richtige Weg zum Partner. Er ist sicher anders als der Weg zur Partnerin, die um die nächste Ecke wohnt und mit der man ich täglich sehen könnte. Was ist denn der „gemeinsame Alltag“ eines neuen Paares vor Ort? Es ist Verliebtheit, sich gemeinsam sehen lassen, ausgehen, essen gehen, bummeln, häufiger und ausgiebiger Sex - und es kann Wochen oder Monate dauern, bevor ein Ereignis eintritt, das genügend ernsthaft ist, um Streit zu bekommen, der ja angeblich so wichtig ist.

Wer sich selbst für kompetent hält, eine Fernbeziehung zu beginnen, zu führen und sie am Ende in eine ganz gewöhnliche Beziehung zu überfuhren, der sollte es in jedem Fall tun. Und wenn es nicht gelingt? Ja, darf man etwa nicht mehr mit einem Versuch scheitern in diesem Leben? Ist uns etwa jede Beziehung mit dem „Mädchen um die Ecke“ gelungen?

Also: Tut es einfach – geht Fernbeziehungen ein. Kümmert euch nicht darum, was „die Leute“ sagen, sondern macht eure eigenen Erfahrungen – so, wie es bei Erwachsenen üblich sein sollte.

Nachsatz: Ich kann nicht umhin, festzustellen, dass die Frage, die an die beiden Experten gestellt wurde, sehr klug war, nämlich „Wie kann ich diese Unsicherheiten (über die Fernbeziehung) seinerseits am besten behandeln?“

Zitate aus: Fem.