Unser Autor beschäftigt sich heute mit Fantasie und Realität in Liebe, Lust und Leidenschaft. Dabei versucht er, Frauenfantasien in ein besseres Licht zu rücken und regt dazu an, Männerfantasien endlich salonfähig zu machen.
In keinem Bereich des Lebens ist die Fantasie um so viel reicher, ausdauernder und begieriger als im Reich der Liebe, der Lust und der Sexualität. Das beginnt schon bei den Märchen und geht dann über die Groschenromane und die angeblich literarische Romantikliteratur bis zum Softporno. Das Bild ist immer das Gleiche: „Das Weib gibt sich und ergibt sich dem Manne, für den sie schwärmt und der sie durch kühnes Auftreten … zu erobern verstanden hat“. Das ist nicht von mir, und nicht einmal aus diesem Jahrtausend: 1905 wurde es geschrieben. Frauen, die dies damals in der Realität nicht wagen konnten, schwärmten jedenfalls davon, dem straken, mächtigen Verführer in den Armen zu liegen, der für die meisten von ihnen unerreichbar war. Der Fantasie der Frauen waren nie Grenzen gesetzt, den Realitäten der Frau im Alltag hingegen schon – und sie sind auch heute noch durchaus vorhanden.
Frauenfantasien sind keinesfalls sanftmütig
Seit einiger Zeit schreiben Frauen über ihre Fantasien, und sie unterscheiden sich von dem Bild der sanftmütigen Prinzessin, die sich nur dem gutherzigen Prinzen beugt, ganz erheblich. Niemand weiß, um wie viel stürmischer die Fantasien in den Hirnen sind als diejenigen, die zu Papier gebracht werden. Vermutlich ist es besser so, weil wir Männer dann entweder zu Tode erschrecken oder auf falkche Pfade geführt würden: Die Fantasie ist von der Fantasierenden in jede Richtung steuerbar – die Realität nicht.
Indessen fragen sich nun Frauen und Männer, was eigentlich so interessant ist an den Frauenfantasien, und warum sich der Kaninchenblick der Literatur-Erotikfreunde überwiegend, wenn nicht gar ausschließlich, auf weibliche
Träume und Fantasien konzentriert.
Männerfantasien - von den Schwierigkeiten, sie zu äußern
Die ist nicht der Platz, um Antworten zu finden. Tatsache aber ist: Männer haben ebenfalls Fantasien, von denen ein Teil recht bekannt ist und ein anderer Teil noch zwischen analogem und digitalem Denken schlummert: Diese Gedanken wollen einfach nicht aufs Papier kommen. Zu einem Teil dürfte klar sein, woran es liegt: Frauen dürfen Gewaltfantasien haben, Männer nicht. Sobald ein Mann seine Gewaltfantasien artikuliert, stehen zwei „bewegte“ Frauen auf und machen ihn nieder. Zu einem anderen teil, über den Männer gerne schweigen, liegt es daran, dass sie in diesen Träumen gelegentlich schwach und unterwürfig sind – und das wieder darf man den Kumpels gegenüber natürlich nicht zeigen. Ein dritter und letzter Teil betrifft den Flirt der Hetero-Männer mit dem eigenen Geschlecht, der ganz und gar tabu ist.
Ja, werden Sie fragen, gibt es das denn nicht? Doch, das gibt es – aber nicht in einer Form, in der man sich literarisch als erwachsener Mann (oder auch als erwachsene Frau) damit identifizieren kann. Fast alle Männerfantasien, die man im Internet lesen kann, sind pornografische Machwerke, die das Wichtigste nicht zeigen: das eigene Empfinden.
Die Gefühle der Männer - einfach vergessen
Es ist völlig gleichgültig, ob man von der sanftesten Form der Zuneigung oder den härtesten Praktiken in der Liebe spricht – die Gefühle der Männer werden fast immer vergessen, und zwar seltsamerweise sowohl von den Autorinnen wie von den Autoren. Alles, was wir über die Gefühle der Männer bei Stimulationen, stattgefundenen und verweigerten Ergüssen in Frauenkörper wissen, wird entweder höflich umschreiben oder aber viel zu deutlich gezeigt, um die dahinter liegenden Gefühle jemals erfassen zu können.
Sicher – wenn ihr nun fragt, ob dies alles „nötig“ ist, dann sage ich: nein. Literatur ist überhaupt nur zu einem äußert geringen Prozentsatz wirklich „nötig“. Aber es wäre doch schön, wenn Frauen einmal etwas mehr darüber erfahren könnten, was in uns Männern vorgeht, nicht wahr? Nach anfänglichen Aufregern aus feministischen Kreisen dürfte es etwas leisten, was manche Männer sich dringend wünschen: dass Frauen lernen, sie ein wenig mehr zu begreifen, als dies bisher der Fall ist.