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 Liebeszeitung - Liebe, Lust und Sex
Warnung! Teile dieser Texte könnten mithilfe menschlicher Intelligenz erzeugt worden sein.

Die Adenauerära: Wilder Sex oder unendliche Prüderie?

60er-jahre erotik -nackt, blond, schmollmund


Historiker gehen mit der Wahrheit anders um als Zeitzeugen, und das liegt vor allem daran: Die gelebte Wirklichkeit einer Zeit ist eine andere Wirklichkeit als jene, die man historischen Konserven, wie etwa Zeitungen oder Zeitschriften, entnehmen kann.

So hinterlässt denn auch die Historikerin Sybille Steinbacher einen geteilten Eindruck, wenn sie, wie das ZDF berichtet, nun „Sex und Erotik“ in der Adenauerrepublik entdeckt haben will – immerhin währte die Adenauerära von 15. September 1949 bis zum 16. Oktober 1963 – aber eigentlich setzte sie sich auch noch mit Ludwig Erhards Kanzlerschaft fort, die am 1. Dezember 1966 endete.

Nun schreibt das ZDF:

«… muffig, spießig, verklemmt. So sind die (19)50er Jahre in unser kollektives Gedächtnis eingegangen. Doch wie man sich täuschen kann! Denn in dem oft gescholtenen Jahrzehnt passierte Ungeheuerliches: Mitten in der Adenauerrepublik kamen Sex und Erotik flächendeckend nach Deutschland. Das behauptet und beweist eine voluminöse zeitgeschichtliche Studie.»


Die Studie wurde von der 1966 in München geborenen Sybille Steinbacher erstellt. Das Geburtsjahr fällt wie zufällig auf die in Deutschland damals beginnende Sexwelle, die erst 1968 von den Medien (der SPIEGEL Nr. 47/1968) tatsächlich in seriösen Zeitungen bemerkt wurde. Das betuliche Fernsehen der damaligen Zeit zeigte erst im Jahr 1969 eine völlig unbekleidete Frau (um präzis zu sein: sogar mehrere) in Loriots Fernsehsendung „Cartoon“ – keinesfalls als „Cartoons“, sondern in einem satirischen Beitrag zu „Sex and Crime“.

Flächendeckender Sex in den Adenauerära? Nie gehört!

Wo, bitte schön: Sollte es also „während der Adenauerära“ den „flächendeckenden“ öffentlich zugänglichen Sex gegeben haben? Wo denn bitte dann? Im Puff? Das berühmte Fanny-Hill-Urteil, das für die Freigabe „obszöner“ Schriften später eine Rolle spielte, gab es erst 1969, die entsprechende Strafrechtsreform erst 1973. Zuvor kaufte man pornografische Schriften und Filme bei den damals noch reichen Toilettenwächtern – unter dem Ladentisch.

Auf einen besonderen Umstand will ich noch hinweisen, weil er in meiner Heimatstadt passiert ist, und ich zitiere:

«Die Staatsanwaltschaft ermittelt … gegen die Schüler, die in dem Faltblatt a unter dem Titel „Zur Gewalt: oder das faschistische Gesellschaftsbild des Bremer Polizeipräsidenten“ diesen Umstand öffentlich bekannt gemacht haben. Die Pressefreiheit ist in Bremen plötzlich aufgehoben … und weiter : „Und dann gibt es in dem Prozess noch einen ganz, ganz schlimmen Anklagepunkt: die Verbreitung von Pornografie. Auf dem Flyer war eine Zeichnung von Aubrey Beardsley aus Lysistrata abgedruckt, auf der erigierte Penisse zu sehen sind. »


Das alles hatte System: Man wollte einerseits die Jugend „klein halten“ und andererseits „das System“ aus Staatsmacht, Spießbürgermacht und Kirchenmacht nicht antasten – übrigens mit dem gegenteiligen Effekt, wie die Vorgänge von 1968 zeigen. Ausgesprochen interessant ist, dass sich die Bürgerpresse niemals auf die Seite der Jugend stellte, sondern sie noch kräftig beschimpfte, sobald sie sich „eigenmächtig“ neue Freiräume schuf – etwa bei den ersten Bremer Riverboat-Partys, die gegen 1962 stattfanden.

Bürgerlicher Reichtum dackelte alles - Hurendienste und Pornografie

Was es „damals“ wirklich gab? Männer, die nach dem Kriege (warum auch immer) schnell wohlhabend geworden war, leistete sich, was sie wollten - unter anderem Frauen jeden Alters und (bei genügender Verschwiegenheit) durchaus auch ehrbaren Rufes. Wer besondere Gelüste hatte, musst zwar etwas länger suchen, fand dann aber eben auch für jede der sinnlichen Lüste eine passende Bedienung – inklusive homo- und bisexueller Aktivitäten, die im Adenauerstaat noch mit hohen Strafen bedroht waren. Die „Kriegerwitwe“, die sich ab und einmal etwas Honig bei einem verheirateten Mann holte und die Damen, die regelmäßig die „Bälle der einsamen Herzen“ frequentierten, um die Lust zu stillen, die anderwärts nicht befriedigst werden konnte, wurden auf der anderen Seite schwer befehdet – sie gehörten zu den Leuten, die eben keine „Freunde“ im „guten Bürgertum“ hatten, das im Grund genommen alles „deckelte“, was eben noch gerade möglich war.

muchow: ein schlimmes machwerk gegen die jugend
Lustvolle 1950er und 1960er Jahre? Da fragt sich schon: für wen den eigentlich? Für ein paar „Neureiche“, in deren Schubladen es pornografische Fotos, 8mm-Filme und maschinengeschriebene Sex-Storys gab, und die sich Frauen, Männer und Paare kaufen konnten, um im Geheimen die Lust zu steigern?

Wer die Adenauerära wirklich verstehen will, muss sie erlebt haben: Sie war ein einziger Affront gegen die geschlechtliche Lust und ein Kampf gegen die Sexualität der Jugend. Die Presse jedenfalls stand damals auf der Seite des etablierten Bürgertums, aus dem sie die Abonnenten rekrutierte – die Jugend kaufte schließlich keine Zeitungen. Übrigens gab es eine weitere Kraft in Westen Deutschlands, die alles daran setzten, die Jugend im Sinne der "alten Werte" zu erziehen: die Pädagogen. So mancher von ihnen hatte Muchows "Sexualreife und Sozialstruktur der Jugend" in der Schublade, ein elendes Machwerk, dass sich gegen die Bestrebungen der Nachkriegsjugend richtete, anders sein zu wollen als ihre Eltern.