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 Liebeszeitung - Liebe, Lust und Sex
Warnung! Teile dieser Texte könnten mithilfe menschlicher Intelligenz erzeugt worden sein.

Liebe: Wahrnehmung und Wirklichkeit

illusion: so sähen viele männer die frau gerne - lasziv auf den liebhaber wartend


Was hat die aktuelle Diskussion über „einvernehmlichen Sex“, wie sie derzeit in Schweden und anderwärts geführt wird, mit der Lehre von der menschlichen Kommunikation zu tun? Meine Antwort wäre: Eigentlich sehr viel, aber die Debatte wird in einer Weise geführt, die der Vernunft kaum noch Chancen lässt.

Jeden kundigen Beobachter überrascht immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit die eigene Wahrnehmung in der Liebe für die Wirklichkeit gehalten wird. Das ist verständlich, aber leider völlig falsch: Die Wirklichkeit über die Beziehung zwischen zwei Menschen entsteht durch Kommunikation – zuvor ist es lediglich die Empfindung jedes Einzelnen.

Liebe kennt wenig Wirklichkeit

Wenn Hans mit Grete schläft, dann denkt Hans möglicherweise darüber nach, was Grete denkt und wie sie fühlt, aber auch darüber, wie Grete über Hans denkt und wie sich Hans nach Gretes Meinung fühlt. Das Bild ist also „Hansgemacht“ – es ist nicht Gretes Bild. Mit Grete ist es genauso – ihr Bild der Wirklichkeit ist ein Grete-Bild.

Wer bespricht schon seine Liebesnächte?

Es ist verpönt, über Liebesnächte ausführlich zu sprechen, weil es die Stimmung zerstört, die man sich unbedingt erhalten will. Normalerweise hoffen Paare, dass sich ihr Liebesleben stetig verbessern wird, und sie vermeiden, über Details zu reden. Nur wenige Menschen gestehen ihren Partner zu Anfang einer großartigen Liebe, welche offenkundigen sexuellen Wünsche sie haben, und noch weniger offenbaren ihre geheimen Wünsche.

Warum eigentlich sollte Hans ein „zutreffendes“ Bild von Gretes liebe bekommen? Warum sollte Grete darauf drängen, in die Geheimnisse von Hans Bild von ihr einzudringen, solange beide der festen Meinung sind, die Liebe sei unendlich schön?

Interessiert die Wirklichkeit der Liebe überhaupt?

Sie werden es nicht tun. Die Wirklichkeit interessiert sie nicht. Sie könnten, wenn sie wollten, einen Teil der Wirklichkeit hervorbringen, und vielleicht werden sie es eines Tages auch tun, wenn sie älter werden.

Die bittere Wahrheit, die Paul Watzlawick einst in einem winzigen, kaum beachteten Satz ausdrückte, ist die: „Wirklichkeit entsteht durch Kommunikation“. Wenn Hans und Grete wissen wollen, was die gemeinsame Wirklichkeit ihrer Liebe ist, müssen sie darüber sprechen. Das heißt, sie müssen ihre Gefühle ausdrücken können, und der andere muss sie so verstehen können, wie sie ausgedrückt werden. Das ist zwar möglich, aber schwierig – innerhalb eines langen und komplizierten Lernprozesses.

Der gewollte Rausch der Liebe und die Wahrheit

Noch bei Weitem schwieriger ist es, eine gemeinsame Wahrheit zu finden, wenn die Liebe in einem rauschhaften Zustand ausgeübt wurde. Wir vergessen oft, dass die Lust ein Trick von Mutter Natur ist, der ja gerade etwas tun soll, was kulturell verpönt ist: Uns in einen rauschhaften Zustand zu versetzen, indem wesentliche Gehirnregionen einfach mit körpereigenen Drogen „zugeschüttet“ werden. Diese Drogen wirken bei Frauen und Männern, und es zeugt deshalb von Unverstand (oder gar Absicht?) lediglich Männer diese Rauschhaftigkeit zu unterstellen. Wir erwarten voneinander, diese Rauschdrogen zu beherrschen – und wissen doch selbst, dass wir sie kaum noch beherrschen können, wenn wir den Angriff der Drogen einmal zugelassen haben. Wer behauptet, in jedem Moment einer Verführung bis hin zum Vollzug des Geschlechtsaktes immer Herrin oder Herr der Lage gewesen zu sein, hat Talent zu einer Agentin oder einem Agenten einschlägiger Geheimdienste, die Menschen durch Sexlockvögel ausspionieren, aber vermutlich kein Talent für die Liebe.

Die einvernehmliche Liebe - und der Mangel an Zeichen

Liebe ist eine einvernehmliche Angelegenheit – vom ersten Aufkommen der ersten Begierde, allen Zwischenstufen der Verführung bis zu den Varianten des Geschlechtsaktes. Daran kann und darf es keinen Zweifel geben. Die Diskussion geht aber gerade in eine andere Richtung: Was ist denn „einvernehmlich“? Müssen die Partner einander vor jeder Berührung, jedem Kuss und jeder geschlechtlichen Aktivität fragen: „Darf ich jetzt?“

Es ist üblich, in der Liebe auf „Usancen“ und Vertrauen zu setzen – ähnlich wie im Geschäftsleben. Mit manchem braucht man einen fünfseitigen Vertrag, bei anderen reicht der Handschlag. Beides sind Formen der Übereinkunft. In der Liebe gibt es wenige verbindliche, aber viele freie zu vereinbarende Einwilligungen, und schon ist das Dilemma da: Wo keine verbindlichen Zeichen vorlegen, in denen man sich verständigen kann, entstehen Missverständnisse. Die eindeutige Antwort „zu mir“ auf die Frage „Gehen wir zu mir oder zu dir“ kann sicherlich als Wunsch zu Intimitäten gewertet werden, sagt aber kaum etwas über die Art, in der die gegenseitige Verführung stattfinden soll. Die „Modalitäten“ der Angelegenheit werden deshalb voraussichtlich so „ausgehandelt“, wie es schon immer geschah: in Feinstufen eines Spieles des gegenseitigen „Ziehens“ und „Hinsinkens“ und ganz wenigen, geflüsterten Wünschen.

Die einzige sinnvolle Umkehr in solchen Situationen – es stand hier bereits – ist ein eindeutiges und klares „Nein“ – und dann bitte, bevor die Liebe vollzogen wird. Das naive „eigentlich wäre es NEIN gewesen, aber …“ am Morgen danach oder noch später zeigt Persönlichkeitsschwächen, die man bestenfalls in der Literatur verwenden sollte, um die Labilität der Gefühle zu beschreiben, aber nicht für die eigene Realität.

Wissenschaftliche Hintergründe für diesen Artikel:

Paul Watzlawick "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?" sowie weitere Forschungen von Paul Watzlawick, unter anderem in "Menschliche Kommunikation"
Ronald D. Laing: "Das Selbst und die Anderen".

Bild: Ausschnitt aus dem Gemälde "Odaliske" von Frederick Arthur Bridegman, um 1880
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