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 Liebeszeitung - Liebe, Lust und Sex
Warnung! Teile dieser Texte könnten mithilfe menschlicher Intelligenz erzeugt worden sein.

Kirchgängerinnen mit roten Ohren und andere Naive

Die „Shades of Grey“ haben, so scheint mir, ein paar naive Kritikerinnen aufgescheucht. Angeblich ist es das erste Mal, dass ein solches Buch, bei dem Kirchgängerinnen rote Ohren bekommen, im Handel erscheint.

Nicht das erste Buch, das SM behandelt

Fantasien gab es schon immer
Wie naiv. Literatur dieser Art gib es seit langer Zeit, nur ist nun plötzlich ein Buch ohne mahnenden Zeigefinger erschienenen: die „Shades of Grey“ zeichnen einen recht eleganten Einstieg und einen etwa verkaterten Ausstieg in die Welt der Schmerzlust auf. Das ist offenbar der Fehler, denn hier wird keine feministische Moral gepredigt, kein Mann zu Sau gemacht und keine Frau als Heilige hervorgehoben. Was unterscheidet beispielsweise „Fifty Shades of Grey“ von Jenny Diskis „Küssen und Schläge“? Abgesehen von Diskis höherer literarischer Qualität besteht der eigentliche Unterschied vor allem darin, dass die Heldin Rachel ihren Geliebten Joshua nach dem letzten wilden erotischen SM-Spiel ans Messer lieferte – geradeswegs in die Hände der Polizei. Diese aufgesetzte und überaus peinliche Moral machte das Buch (1986 erstmals erschienen) sogar für Doris Lessing interessant, die schrieb, es sei die Geschichte einer ungewöhnlichen Liebe, „welche die vielfaltigen physischen und emotionalen Abhängigkeiten mutig nachspüre, die wir Sadomasochismus nennen.“

Altmodische Begriffe wie "Sadomasochismus" verschleiern eher

Schon Doris Lessing hat sich nicht vorstellen können, dass es „den Sadomasochismus“ so wenig gibt wie „die Liebe“. Das Leben der Protagonistin Rachel war im Jahr 1986 noch höchst ungewöhnlich. Sie wird als eine Frau geschildert, die ihr Leben im Griff hat und sich Liebhaber hält wie andere Leute Kaninchen, und auch dafür gab es eine Moral: „Ich kann keine Leute ertragen, die mich vereinnahmen wollen.“ Die Heldin ist also jene Art Frau, die Männer zum Vögeln benutzt, um sie fortzuwerfen, falls sich echte Gefühle entwickeln. Die Schilderung folgt einem einfachen Strickmuster: Nicht die Heldin ist neurotisch, selbstsüchtig und nicht sie leugnet die Realität, nein, die Welt da draußen ist beschissen – und die Männer sind es sowieso.

Küsse und Schläge? Sie tun es einfach - na und?

Also: „Shades of Grey“ ist nicht das erste Mainstream-Buch, das eine SM-Beziehung schildert, in dem sich eine Frau unterwirft – es ist nur das Erste, bei dem weder die Frau noch der Mann angeklagt werden, dies zu tun. Sie tun es einfach – das ist alles.

In vielen Dutzend erotischen Romanen dominieren Frauen Männer, und in einigen dominieren Frauen sogar Frauen. Solche Werke, ob literarisch wichtig, Groschenroman oder Pornografie, wurden niemals von Frauenrechtlerinnen angeklagt, sie würden „die Menschwürde verletzen“. Jetzt aber, da die Frau als unterwürfig, der Mann als dominant geschildert wird, und jetzt, da dieser lächerliche Groschenroman Furore macht, jetzt beginnen die Gutmenschen-Frauen und Neuemanziperten zu kreischen.

Es gab schon erotischere Werke mit mehr Emotionen

Ach bitte, was ist denn so anders als im Film 9 ½ Wochen? Ist es nicht die gleiche Lust, die gleiche Verweigerung, die gleiche Wiederannäherung und schließlich der gleiche Zusammenbruch der Beziehung? Die Geschichte von Elizabeth McNeill, die teils autobiografisch ist, kommt zudem der Realität einer faszinierenden, aber leider gleichwohl nicht dauerhaften Beziehung mit SM-Elementen wesentlich näher als „Fifty Shades of Grey“ – und stammt übrigens ebenfalls aus dem Jahr 1986.

Anastasia Steel weiß, was sie tut - andere wissen gar nichts

Übrigens kreischen nicht alle – denn was in Frauen vorgeht, wie sie denken und fühlen, das wissen emanzipierte Frauen ohnehin. Sie sehen den Roman „´Shades of Grey“ überwiegend als nüchtern an, sagen teilweise sogar „na und, sie beherrscht doch ihr Leben, was wollt ihr denn?“ Hier wird Kenntnisreichtum deutlich: Frauen, die nicht selbstbewusst sind, unterwerfen sich manchmal tatsächlich, nicht spielerisch – und sie unterwerfen sich nicht zuerst in SM-Spielen, sondern im Alltag. Selbstbewusste Frauen hingegen entscheiden selbst, wann, wie und mit wem sie sich die Schmerzlust gönnen wollen, wobei einmal natürlich immer „das erste Mal“ ist.

Nein, das ganze moralisierende Gekeife ist nichts wert. Es ist eine Wiederholung von Wiederholungen, die ihrerseits schon Wiederholungen sind. Über die Freude an der Unterwerfung kann man nur selbst entscheiden, und ähnlich wie beim Alkoholkonsum muss man wissen, wann man aufhören muss.

Merkwürdig, dass wir heute jeder Frau zubilligen, ein paar Gläser zu viel zu trinken und sic dabei auch schon mal ein paar Schranken zu öffnen, die sie sonst vielleicht geschlossene gehalten hätte. Aber in einem erotischen Spiel ein paar Schläge zu viel bekommen zu haben und deshalb mit einem emotionalen Kater aufzuwachen, das sehen wir mit hochgezogenen Augenbrauen an und runzeln die Moralstirn.

Was passiert aber, wenn Frauen versuchen, es der Anastasia nachzumachen? Unser Schwestermagazin machte sich erste Gedanken darüber, was passiert, wenn Anastasia Musterfrau einen Mann treffen will, der so ist wie Mr. Grey.