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 Liebeszeitung - Liebe, Lust und Sex
Warnung! Teile dieser Texte könnten mithilfe menschlicher Intelligenz erzeugt worden sein.

Das Haus der Frau Berkley und der Herr Ashbee

Eine mehrteilige Betrachtung über Wahrheiten und Mythen um die "englische Erziehung" und die Lust an erotischen Schlägen

Dritter Teil: Das Haus der Frau Berkley und der Herr Ashbee

Das Bordell der Theresa Berkley wurde von ihr vermutlich zwischen 1820 und ihrem Tod im Jahr 1836 betrieb. Im Jahr 1828 soll es ihr gelungen sein, ein neues Möbel für ihr Etablissement zu entwickeln, das man später das „Berkley Horse“ nannte. Neben ihren Fähigkeiten als Geschäftsfrau und Gouvernante soll es maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg des Bordells beigetragen haben.

Die mysteriösen Geheimnisse der Frau Berkley

Die Geschichte der Frau Berkley, wie wir sie heute lesen, wurde allerdings erst weit nach ihrem Tod im Jahr 1836 geschrieben. Nachdem ihr Bruder, ein Missionar, das Erbe aus moralischen Gründen ausschlug, fiel es an Berkleys Hausarzt Dr. Vance, der sich allerdings später weigerte, das Erbe zu verwalten. Soweit scheint es sich um Fakten zu handeln.

Bücher, Bilder und Fantasien um das Leben der Frau Berkley

Ab hier beginnt die Fantasie Wellen zu schlagen. Denn besagter Dr. Vance behielt angeblich Frau Berkleys Korrespondenz. Und die war in jeder Hinsicht spektakulär, weil es ja nicht eine „unbekannte Perverse“ waren, die das Etablissement besuchten, sondern hohe Beamte, Geschäftsleute und Adlige. Man konnte sich vorstellen, was passiert wäre, hätte Dr. Vance diese Briefe tatsächlich besessen oder gar öffentlich gemacht.

Nachdem die mysteriöse Kiste mit den Briefen offenbar verschwunden war, fand sich ein Schriftsteller, aus dessen Feder die gesamte Legende entwickelt wurde. Dabei spielte auch ein Buch eine Rolle, nämlich die „Venus School Mistress“.

In die Welt gebracht wurde der Mythos von dem Schriftsteller Henry Spencer Ashbee (Pseudonym: Pisanus Fraxi), (1834 – 1900), der im Jahr 1877, also etwa 40 Jahre nach dem Ableben von Mrs. Berkley und fast 50 Jahre nach dem Erscheinen der Ausgabe des Buches, die Legende begründete.

Die angeblichen „Memoiren“ der Theresa Berkley

Was in den Schilderungen Ashbees auffällt, ist eine gewisse Doppeldeutigkeit. Einerseits schreibt er, dass die Memoiren der Theresa Berkley niemals veröffentlicht wurden, andererseits behauptet er aber auch, dass in diesen Memoiren eine Abbildung enthalten gewesen sie, die ihre Erfindung, das „Berkley Horse“ zeigte. Und er behauptete zudem, dass es eine ganz ausgezeichnete Abbildung des „Berkley Horse“ in einer der Ausgaben der „Venus School Mistress“ gab.

Seither kursiert das Gerücht, das auf Ashbee zurückgeht, in zahllosen Schriften weiter – und es wird ständig aufs Neue abgeschrieben.

Das Buch - die Venus School Mistress

Wie auch immer - die Geschichte der Memoiren von Frau Berkley ist frei erfunden. Werfen wir kurz einen Blick auf das Buch, das häufig als die „Memoiren der Berkley“ bezeichnet wird. Es ist eine relativ belanglose erotische Schrift, die dem Zeitgeist entsprach:

Venus School Mistress; or, Birchen Sports. By R. Birch.

Titel der Ausgabe von 1917
Die Ausgabe von ca. 1810 ist möglicherweise die älteste, aber es soll eine zweite Ausgabe von 1820 geben, in der „vier Abbildungen“ enthalten sind. Zehn Jahre später gab es eine weitere Ausgabe unter dem gleichen Titel, die sich angeblich auf eine ältere Ausgabe bezog, diesmal eine von 1788. In der Ausgabe von ca. 1830 (1938) soll auch das „Berkley Horse“ zu sehen sein – mit Mrs. Berkley einer Frictrice und dem Berkley-Horse. Darauf kommen wir noch. Wer an der Geschichte des Buches interessiert ist, sollte den folgenden Abschnitt lesen. Er wirft viel Licht auf die Praxis der Veröffentlichung erotischer Schriften im frühen 19. Jahrhundert.

Dazu existiert folgende fast genau zutreffende Original-Recherche über den Ursprung (gekürzt):

Venus-Schulmeisterin; oder Birchen Sports. Von R. Birch, übersetzt aus Manons Memoiren. Gedruckt für Philosemus und verziert mit einem schönen Druck. Preis 10 Schilling, 6 Pence. Wahrscheinliches Erscheinungsdatum 1808 bis 1810…. Es gibt eine weitere Ausgabe von ca. 1820, „mit 4 farbigen Tafeln“.Um 1830 druckte Cannon das Werk mit dem Titel "Venus School Mistress; or Birchen Sports. Es wurde im Titel als ein „Nachdruck der Ausgabe von 1788“ bezeichnet und mit einem Vorwort von Mary Wilson eingeleitet, das einige Hinweise auf Mrs. Berkley enthielt. London: „Gedruckt von John Ludbury, Nr. 256, High Holborn. Es enthielt fünf oder sechs faltbare farbige Tafeln und ein Frontispiz (nicht faltbar), die „Das Berkley-Pferd“ darstellt. W. Dugdale gab um 1860 eine Ausgabe mit Titeln wie oben heraus.


(Der Preis betrug also 10 Shilling und sechs Pence, was etwa dem heutigen Gegenwert von 75 GBP entsprach, ein Frontispiz (der Bildertitel) befindet sich dabei auf der zweiten, dem Titelblatt gegenüberliegenden Seite). Weitere Ausgaben erscheinen angeblich 1917 und das ging immer so weiter - stets wurde behauptet, man drucke die Ausgabe von 1788 nach. Als das Vorwort der angeblichen von Mary Wilson dazukam, hieß es irgendwann „der verstorbenen Mrs. Berkley“, jedenfalls in der Ausgabe von 1917 (Nachdruck), die ich einsehen konnte.
Wann auch immer der Text geändert wurde - die Jahreszahl 1788 im Titel ist falsch


Täuschungen und Verwirrungen um Mary Wilson

Interessant ist dabei, dass die Täuschungen mit dem Manuskript noch weitergingen. Die angebliche „Mary Wilson“, die ebenfalls als Bordellwirtin klassifiziert wurde, wird nämlich als Autorin eines sehr ähnlichen Buches genannt, „The Spirit Of Flagellation. Es wurde als „gedruckt und herausgegeben von Mary Wilson“ deklariert und enthält auch das gleiche Vorwort. Das Original soll angeblich von 1827 stammen, aber 1830 ist ebenfalls möglich. Jedenfalls wurde die Neuauflage angeblich 1892 veröffentlicht.

Sie soll mit folgendem Text beworben worden sein:

Da die meisten Werke zu diesem Thema vergriffen und äußerst selten sind, beabsichtige ich, sie in schneller Folge in einer Reihe von Bänden zu ersetzen, die mit der Gegenwart einheitlich sind. Herren, die eine Gouvernante benötigen, oder Damen, die in diesen Zweig der eleusinischen Mysterien eingeweiht werden möchten, können vertraulich mit den notwendigen Informationen versorgt werden, indem sie mit mir über die Buchhändler oder andere Agenten kommunizieren, die ihnen diese Arbeit liefern können.

Maria Wilson.
1. Mai 1892."

Es handelt sich dabei um eine wirkliche, möglicherweise aber auch fiktive Bordellwirtin, deren Etablissement ihre Glanzzeit angeblich zwischen 1815 und 1830 hatte und die mit ähnlichen Attributen beschreiben wurde wie Frau Berkley. Auch diese „Information“ stammt von Ivan Bloch (nach Ashbee).

Ashbee und eine zweideutige Information

Jedenfalls behauptete Ashbee, auf der Frontispiz der „Venus School Mistress“ habe es eine Abbildung gegeben, die Frau Berkley, ihr wundersames Möbel, einen darauf festgebundenen Mann und eine Frictrice zeige. Ashbee selber schrieb dann allerdings:

Es gibt eine Darstellung in Mrs. Berkleys Memoiren. Sie zeigt einen Mann, der sich völlig nackt auf dem Chevalet befindet. Eine Frau sitzt auf einem Stuhl genau darunter, mit entblößtem Busen, Bauch und Schambereich und beschäftigt sich mit seinem Embolon, während Mrs. Berkley mit einer Rute auf sein Hinterteil einschlägt. Die weibliche Rolle als Frictrix nahm sich Miss Fisher, als Vorbild. Sie war eine schöne, große, dunkelhaarige Frau, an die sich jeder erinnern müsste, der in diesen Tagen die Charlotte Street besuchte.

Wie der Mythos zementiert wurde

Diese Beschreibung der angeblichen Illustration in den „Memoiren“ ist heute noch in jedem Artikel zum Thema zu lesen:

Es gibt eine Abbildung in Mrs. Berkleys Memoiren, die einen beinahe nackten Mann darauf zeigt. Eine Frau sitzt in einem Stuhl direkt darunter, Hintern, Bauch und Scham entblößt, die den Mann mit der Hand befriedigt während Mrs. Berkley seine Rückseite mit Birkenruten bearbeitet.


Wer dem Text glaubt, muss annehmen, dass Herr Ashbee tatsächlich die Memoiren der Theres Berkley gelesen habe, von denen er andererseits bestreitet, dass sie jemals veröffentlicht wurden. Und so beginnt die Legende vom „Berkley Horse“ tatsächlich mit Spencer Ashbee – aber sie endet nicht damit. In seinem Buch „Das Geschlechtsleben in England“ schreibt „Dr. Eugen Dühren“ (Der Arzt und Sexualwissenschaftler Iwan Bloch):

Pisanus Fraxi ließ (das Bild) in seinem „Index Librorum Prohibitorum“ reproduzieren. Nach dieser Reproduktion wurde das Bild wiederholt bei Hansen („Stock und Peitsche)“ und Eulenburgs „Sadismus und Masochismus“ (veröffentlicht.) Man findet das Chevalet auch auf modernen Flagellationsbildern. In Paris soll es währen der Weltausstellung von 1900 praktische Verwendung und viel Anerkennung bei Lebemännern gefunden haben.


Da Iwan Bloch ein angesehener Arzt war, zweifelte später niemand mehr daran, dass beides Realität war – die Memoiren einerseits und das „Berkley Horse“, so wie es Ashbee gesehen haben wollte, andererseits.

Eine Klappleiter im Luxusbordell?

Was uns nun noch fehlt, ist die Idee zur Zeichnung des angeblich „echten“ Berkley Horse, und wir finden sie erstaunlicherweise ebenfalls bei Iwan Bloch (wieder nach Ashbee):

Die kuriose Einrichtung ihres Geschäftes bestand aus einer zusammenklappbaren Leiter, aus Riemen, Birkenruten, (und) Stechginsterbesen … (Die jungen Frauen) wurden auf verschiedene Weise flagelliert … (und) manchmal wurden sie an die Leiter gebunden.

Diese Informationen stammen offensichtlich aus der Presse, weil die Betreiberin der „Akademie der Züchtigungen“, eine gewisse Sarah Potter, (auch Sarah Stewart genannt) angezeigt wurde. Ihre Gerätschaften landeten beim „Westminster-Polizeigericht“, und es ist überliefert, dass „die Öffentlichkeit davon erfuhr.“

Dieser Vorfall stammt allerdings (laut Bloch) aus dem Jahr 1863 – fällt also ungefähr in die Zeit von Ashbees Recherchen, was erneut Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit nährt.

Welchen Apparat hatte Frau Berkley wirklich erfunden?

Wer all dies gelesen hat, wird sich nun fragen: Wie hätte denn Frau Berkleys Erfindung „wirklich“ aussehen können? Diese Frage ist relativ einfach zu beantworten. Größer, höher, schwerer und dennoch flexibler. Wie er allerdings „genau“ aussah, wissen auch wir nicht - aber es gibt durchaus Hinweise. Und davon nun in der vierten Folge.

Quellen (unter anderem):

Horntip, Books für Venus School Mistress und Spencer Ashbee.
Art and Popular Culture: Sexual LIfe in England.
Biblio Curiosa für: The Spirit of Flagellation.
Sowie dem Internet Archiv für Ian Bloch.

Alle Folgen:

Körperstrafen und Definition - Körperstrafen (Definitionen)
Die viktorianische Zeit und das 19. Jahrhundert Adel, Bürgertum, Fassaden.
Das Bordell der Frau Berkley und die einzige Quelle dafür bei Ashbee (hier)
Das angebliche „Berkley Horse“ - ein Möbel für ein Bordell.
Meine Vorgehensweise bei den Recherchen - die Wahrheit.