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 Liebeszeitung - Liebe, Beziehungen und viel mehr.

Das Liebeszimmer – ein Essay zur Verwirrung der Sinne

"Das Liebeszimmer – ein Essay zur Verwirrung der Sinne" ist nicht die übliche Geschichte, die wir in der Liebeszeitung veröffentlichen würden. Aber zwischen langweiligen, harten Fakten und den gefährlichen Untiefen der Psyche liegt die Welt der Illusionen. Reden wir darüber.
Das Liebeszimmer - ein Bett gehört immer dazu, aber was ist mit der Lust?

It's a Barnum and Bailey world
Just as phony as it can be
But it wouldn't be make-believe
If you believed in me.
(Text: Yip Harburg and Billy Rose)


Warst du schon einmal in einer Bar, in der die Atmosphäre sofort nach Erotik roch, obgleich sich niemand anbot oder entblößte? Alles war etwas Dunkler also sonst üblich und die Musik klang ebenso gedämpft wie die Stimmen. Die indirekte Beleuchtung tauchte die Bar in gedämpftes Rot und abgesehen von einzelnen Teilen aus goldgelbem Metall wirkte der Raum recht Dunkel. Im Grunde gab es nichts Auffälliges. Lediglich das Parfüm der anwesenden Damen dort vorne an der Bar war deutlich schwerer und betörender als üblich.

Wenn du dir das vorstellen kannst, dann wirst du auch den Unterschied zwischen einem Schlafzimmer und einem Liebeszimmer verstehen. Denn sobald sich die Tür dazu öffnet, wirkt ein solches Zimmer wie eine Bühne. Was noch fehlt, ist dein Auftritt.

Auf deiner Bühne kannst du sein, was du nicht bist

Eine Schauspielerin verriet mir einmal, dass sie erst bei ihrem Auftritt „wird, was sie nicht ist“. Wenn wir das Liebeszimmer mit der Bühne gleichsetzen und uns zugleich an die Bar erinnern, wird klar, was passiert. Wir gleiten in die Rolle hinein, die wir als „sinnlich“ wahrnehmen. Das Glas Champagner auf dem Nachttisch, die rötlich schimmernde Haut, der verführerische Duft, die leise Stimme, die Hoffnung auf ekstatische Hingabe … alles kommt zusammen. Und das sogar noch dann, wenn du nicht du selbst bist, sondern nur den Part spielst, denn du dir ausgedacht hast. Gut – vielleicht ist es auch die Rolle, die er oder sie sich gewünscht hat. Aber je länger du sie spielst, umso mehr tauchst du in sie ein.

Warum habe ich nur diese Bar erwähnt? Weil sie am Tage etwas anderes ist: eine Art Café. Die Geschäftsleute der Umgebung kommen herein, dann und wann erscheint ein Handelsvertreter, und gelegentlich nutzt man den Ort als Ersatzbüro. Und am Tag spielt auch die indirekte Beleuchtung keine Rolle, die aus jeder Art von Haut eine weiche, sanfte, faltenfreie Verführung werden lässt. Die Gesichter der wenigen weiblichen Gäste sind absolut tagelichttauglich, und die Kostüme, die sie für ihren Auftritt tragen, selbstverständlich auch. Perfekte Alltagskleidung, geschminkt wie Sekretärinnen alter Schule – perfekt und seriös.

Siehst du, das ist der Unterschied. Das Licht, die Farben, die Vorhänge – wenn die „Bühnenausstattung“ wechselt, ändert sich auch die Stimmung.

Das Zimmer der Lust – deine Bühne?

Möglicherweise ist ein Schlafzimmer wirklich nur ein Zimmer zum Schlafen, und ein Liebeszimmer ein Zimmer für die Liebe. Und trotz alledem lässt sich ein Liebeszimmer auch als Gästezimmer nutzen. Wer sagt, dass ein fahlrotes, indirektes Licht den Raum durchfluten muss, wenn du den Lichtschalter neben der Tür drückt? Der verdächtige rote Samtvorhang lässt sich durchaus zur Seite schieben. Das Bett muss allerdings stehen bleiben. Es ist etwas höher und stabiler als gewöhnliche Betten, aber es ist ganz offensichtlich möglich, in ihm zu schlafen. Leg dich einfach hin und schau in jede Richtung - alles sieht absolut harmlos aus.
Auch die karge Möblierung spricht dafür, dass dieses Zimmer ein Nebenraum ist, der irgendwann nicht mehr benötigt wurde. Ein großer Ankleidespiegel, ein Schminktisch, ein Sessel, ein paar Hocker, eine gepolsterte Bank, vielleicht eine Chaiselongue? Alles ganz normal. Offenbar wurde das Zimmer für eine Dame eingerichtet … lächelst du jetzt? Oder errötest du?

Was du siehst - und was du vielleicht ahnst

Sei nicht so neugierig. Die Schublade des Schminktisches ist verschlossen, und überhaupt siehst du weder Schränke noch Regale, und auch die Wanddekoration ist spärlich. Ja, was hattest du erwartet? Räume dieser Art lassen sich in kurzer Zeit verwandeln. Sie ändern sich durch die Beleuchtung, die Menschen, die hineingehen, die Rollen, die sie spielen werden und sicher auch durch die Gegenstände, die sie mitbringen oder die noch hereingerollt werden können.

Wenn das Spiel beginnt, wandelt sich alles … auch wenn es eigentlich noch das Gleiche ist. Es ist eben eine Barnum-und-Bailey-Welt.

Bild: Liebeverlag-Archiv

Liebst du, oder spielst du Liebe?

Ein Telefonflirt ist ganz anders als der Flirt unter Anwesenden
Zu Anfang will ich dich etwas fragen: Warst du einmal bei einem Arzt?

Ich denke, du hättest dich ganz normal mit ihm unterhalten können, wie zwei Menschen, die einen körperlichen Zustand besprechen. Dein Teil besteht darin, zu sagen, was du spürst oder bemerkst. Sicher erwartest du von dem Kundigeren, also dem Arzt, einen Rat. Soweit – so gut.

Oder warst du geduldig, gefügig, hast du nur zugehört und niemals etwas korrigiert oder ergänzt? Dann hast du einen Patienten gespielt.

Liebe - ein seltsames Spiel - aber kann man sie überhaupt "spielen"?

Könntest du Verliebtheit spielen? Und wenn du es tätest, könnte es sein, dass du dich dann tatsächlich als „lustvolle Geliebte“ oder „leidenschaftlicher Liebhaber“ fühlst?

In der Theorie funktioniert das. Schauspielerinnen und Schauspieler werden dir bestätigen, dass sie „in und mit der Rolle leben“, solange sie auf der Bühne stehen. Normalerweise werden sie angeregt, auf „ähnlichen Gefühlen“ aufzubauen, die sie kennen – auch wenn sie diese „nur“ spielen. Während sie spielten, vertiefe sich das Gefühl dann, und ihre Rolle wird immer glaubwürdiger.

Wenn das so stimmen würde, dann wäre es noch wahrscheinlicher, dass sich jemand verliebt, der aufgefordert wird, die Verliebte zu spielen. Denn die Natur setzt niedrigere Hürden für die Produktion von entsprechenden Botenstoffen. Und sind sie einmal freigesetzt, dann wird sozusagen ein „Perpetuum mobile“ daraus.

Tatsächlich sind nahezu jedem Menschen solche Fälle bekannt. Der Grund liegt darin, dass die Natur keine „ethischen Gesichtspunkte“ kennt und auch die Gesichtspunkte der Psychologie weitgehend umschifft.

Das Spiel der Liebe - warum wir spielen oder nicht spielen

Der Grund, warum wir so „allergisch“ reagieren, wenn wir vom Spiel um die Liebe reden, ist einfach: Niemand will, dass jemand „nur den Liebeskasper gibt“, also Liebe vortäuscht. Einschränkend wäre zu sagen, dass es Menschen gibt, die dies in böser Absicht tun oder gegen ein Entgelt die Rolle der „echten Freundin“ spielen. („Girlfriend Experience). Wir beurteilen dies aber völlig anders, sobald wir und bewusst auf ein Spiel „mit der Liebe“ einlassen – also eine Begegnung mit offenem Ausgang.

Kommen wir zurück zum „gewöhnlichen Menschen“. Der ist normalerweise kein Profi-Schauspieler, und seine Bühne ist daher der Alltag. Das gibt ihm die Möglichkeit, jederzeit ein Spiel zu beginnen. Üblicherweise nennt man diesen Vorgang „Flirt“. Das tun wir einfach, und wir wissen, dass wir das „sinnliche Element“ dabei unter Kontrolle halten können. Wenn wir aber täglich auf der gleichen Bühne stehen (also beispielsweise am Arbeitsplatz) können wir nicht beliebig auf- und wegtreten.

Liebesspiel "Flirt"

Wer flirtet, tun dies, um seine Attraktivität zu überprüfen. Jeder, der es tut, ob jung oder alt, ledig oder verheiratet, mutig oder zaghaft, versucht es dann und wann. Manchmal kommt es dabei zu „intimen Momenten“. Überwiegend dann, wenn sich jemand vorstellen kann, die letzte Hürde trotz der Hemmung (zu alt, verheiratet, sozial unpassend) zu überwinden. Oftmals ist eine Sondersituation (Tagungen, Firmenfeste oder dergleichen) daran beteiligt. In anderen Fällen ist es die ganz normale Folge des Flirts.

Wenn die Natur dich überflutet

Wenn diese letzte Schranke fällt, greift die Natur sofort ein und überflutet der Körper mit Botenstoffen, die den Fortpflanzungstrieb auslösen sollen. Und wann immer dies der Fall ist, kriecht das „Verliebtsein“ in uns hoch. Biologisch ist es nichts mehr als eine Ausnahmesituation, die uns zur Fortpflanzung bewegen soll. Aber mit Hinblick auf unsere Gefühle ist es natürlich etwas ganz anderes.

Wenn du einen Flirt beginnst oder jemandem in anderer Art „näherkommst“, ist noch nichts entschieden. Aber Nähe und Flirtbereitschaft können ein Spiel übergehen, das unseren Puls in die Höhe treibt und den Blutdruck steigen lässt. Wer dazu „Liebe“ sagt, mag dies tun. Doch ob Begierde, Verliebtheit oder wie ihr es sonst nennen mögt – es kann der Beginn einer wundervollen Beziehung sein.