Junge Männer wollen Sex. Aber das ist nicht leicht, und deswegen sind sie auf dem Weg dorthin nicht ganz ehrlich. Sie gehen also auf junge Frauen (zum Beispiel auf dich) zu und versprechen dir eine Art „Beziehung“. Das klingt nach Zukunft, ist aber oft Illusion, denn wenn der junge Mann ein paar Mal irgendwie erreicht hat, dass du ihm das kleine Glück einer Spermaentladung in deinem Körper zulässt, bedeutet das nicht mehr als das, was ich geschrieben habe: Ein kleines Glück. Es mag im Moment sehr erregend sein. Aber wenn er es bei dir „darf“, dann heißt das auf keinen Fall, dass er mit dir eine Beziehung will.
Das ist eigentlich klar – aber die meisten jungen Frauen erwarten von ihm trotzdem, dass der Mann etwas mehr will als nur Sex. „Ich will doch wertgeschätzt werden“, hörte ich neulich. Das Wort ist so falsch und unbrauchbar wie die Sache selbst: Wertschätzung entsteht nicht dadurch, dass du dich für ihn hinlegst.
Sex ist keine große Sache
Bleiben wir mal bei dem Wert, den er „an dir schätzen“ soll. Wenn ein halbwegs erwachsener Mann etwas von einer halbwegs erwachsenen Frau „will“, dann ist es nicht ausschließlich Sex. Ich erinnere mich noch an das Gespräch mit einer älteren Ärztin: „Frauen können immer Sex geben, wenn sie wollen - das ist nichts besonders.“
Einige ausgesprochen selbstbewusste Frauen, die ich sprach, sagten etwas Ähnliches: „Sex ist doch keine große Sache.“ Oftmals musste dieser Satz noch erläutert werden, etwa durch den Anhang: „Solange du selber nichts erwartest“.
Es lohnt sich, einen Moment darüber nachzudenken. Wer eine Frau Sex schenkt, ohne eine „große Sache“ daraus zu machen, erwartet sie keine Beziehung. Und wenn der Mann ebenso sinnlich wie höflich ist und am nächsten Tag vielleicht noch Rosen schickt – welch schöne Erinnerung.
Wenn es mehr werden soll als "das Eine"
Reden wir noch mal über Sinnlichkeit als Klebstoff. Das ist mehr als Sex, sondern eine Art süßer, klebriger Honig, der in seinem Hirn haften bleibt. Mit einer gehörigen Dosis davon wird der Mann sich nach dir „als Person“ ebenso sehen wie nach deinem Körper.
Dann brauchst du erstens Erfahrung, zweitens eine gewisse Kunstfertigkeit und drittens die Fähigkeit, alles mit einem Hauch des Besonderen zu umkränzen. Das ist so einfach, dass man es eigentlich nicht erklären muss. Ich versuche es trotzdem:
Jede Frau kann irgendwie Sex geben. Aber nur sehr wenige Frauen begeistern mit der Art wie sie es tun. Also lohnt es sich, die Fähigkeiten zu vervollkommnen, wenn du einen Mann völlig verrückt machen willst.
Das innige, sinnliche Gefühl für dich kommt nicht auf, wenn du ausschließlich Sex schenkst. Deine Umgangsformen, deine sozialen Fähigkeiten, deine sonstigen Fertigkeiten und alles, was du sonst in den Winkeln deiner Persönlichkeit versteckst, können wir einen Mann wichtig sein – du musst nur herausfinden, auf welche Kombinationen er „abfährt“. Dabei solltest du nicht „eine Person erfinden“, die du dann „erfolgreich spielst“, sondern die Teile deiner natürlichen Person verwenden, die dein Partner am meisten schätzt.
Das Geheimnis der „Wertschätzung“ ist immer das Gleiche: Wenn du deine Werte, Fertigkeiten und Fähigkeiten kennst, wirst du einen Mann finden, der sie schätzt. Und dann geht es nur noch darum, dich nach und nach in dein Leben hineinzuziehen.
Das Eine reicht nicht - ein bisschen mehr wollen Männer schon ...
Ziehen wir mal ein Fazit:
Männer wollen so gut wie immer „auch das eine“ – also einen einmaligen, aus ihrer Sicht möglichst erregenden Geschlechtsverkehr. Wenn du ihnen das gegeben hast, ist für sie häufig alles in Ordnung. Also ist wichtig, dass du noch mehr schöne Eigenschaften hast, die du mit dem Sex vermischen kannst. Im Grunde kann das alles sein: Deine Klugheit, deine Schönheit, dein Liebreiz, deine soziale Verantwortung und all die Gefühle, die sie mit dir teilen können.
Wenn das Wort „Liebe“ ein bisschen eindeutiger wäre, hätten wir es leichter. Ich, du, wir, alle Menschen und alle „Ausrichtungen“, denen wir anhängen. Aber das Wort ist nicht eindeutig - und die Liebe erweist sich deshalb als Oberbegriff für allerlei Illusionen.
Das animalische Prinzip
Machen wir es mal einfach: Wir kommen rein theoretisch zusammen, um eine Aufgabe der Natur zu erfüllen. Die ist einfach: Frauen wählen, räumen die besten männlichen Hengste ab und ignorieren den Rest. Selbst, wenn die Idee dahinter nicht ist, sofort Nachkommen zu erzeugen, sondern das Gefühl, dass es jetzt und hier passieren könnte – die Sache lässt sich nicht „schönreden“. Es ist eine animalische Grundhaltung, auch wenn wir eine Menge Zuckerguss darüber verteilen.
Sex ohne Fortpflanzungsabsicht, aber mit Genuss
Reden wir von Sex. Wie bekannt kann Sex etwas mit der Fortpflanzung zu tun haben – die Natur schenkt uns den Trieb, weiter nichts. Doch wenn Sex etwas mit Lust zu tun haben soll, ist es nicht mehr der schnöde Akt der Begattung. Es ist so, als würden wir einen Süßwarenladen betreten. Manchmal schämen wir Menschen uns, dort zu „shoppen“, und manchmal sehen wir es als unser gutes Recht an, Sex als Genuss zu empfinden. Und nicht nur Sex – eben auch vieles, was dem gleichkommt.
Die breite Basis intensiver Lüste
Heute haben Menschen eine reiche Auswahl an lustvollen Vergnügungen. Solo, mit Frauen, Männern und vielleicht auch mit jemandem, der sich einem dritten Geschlecht zurechnet. Sex hat zwar ein Mindestalter, aber kaum noch ein Höchstalter. Und die meisten Varianten haben den „Krankheitscharakter“ längst verloren. Was sich spüren lässt, was sinnliche Empfindungen verursacht und was wir uns sozial „leisten“ können, das wird auch ausgeführt.
Sex als lustvolles Spiel - bitter und süß
In der Konsequenz kennt jede Frau und jeder Mann den Einsatz und das Risiko, und so lange der Gewinn nicht vorausgesetzt wird, ist das Ganze ein Spiel mit der Lust. Wir naschen, erhaschen und erproben die süßen Sachen an der Gefühlstheke. Mal ist es Honig, dann sind es bittere Orangen, mal erleben wir uns als aktive Spieler, und mal versuchen wir, die Lust zu genießen, die uns andere anbieten. Sicher gibt es Probleme: Nicht für alle ist alles verfügbar, und nicht jeder traut sich, die Lust pur zu genießen. Wer würde da nachfragen, solange er glücklich damit ist?
Wie schlimm ist das? Reden wir wieder von Tieren. Von Primaten. In diesem Fall von Bonobos. Das sind Zwergschimpansen, und eine moderne Autorin zieht Parallelen:
Für mich klingt das (was die Bonobos aus Zuneigung tun) … nach absolut erstrebenswerten Zeilen. Ich hatte niemals absichtlich reproduktiven Sex, wollte aber sehr wohl dadurch Spannungen abbauen oder die Beziehungen stärken. Und wenn ich einmal in Stimmung bin, habe ich sowieso nur soziosexuelle Interaktionen oder will einfach Spaß haben.
Soweit zur Fortpflanzung – und soweit zum Sex. Und wo bleibt die Liebe?
Die Liebe als Illusion
Um es deutlich zu sagen: Liebe ist derjenige Teil von Freundschaft, Zuneigung, Lust und Aktionen aller Art in den Vorstellungen, die wir persönlich davon haben. Es handelt sich also weder um Fakten, noch entsprechen sie „üblichen“ Verhaltensweisen. Genau genommen ist das, was wir als „Liebe“ beschreiben, kaum mehr als die Illusion, die wir uns darüber machen.
Deine Meinung dazu? Ich wäre sehr interessiert, sie zu hören.
Zitat: Julia Shaw: Bi München 2022 Die deutsche Übersetzung klingt etwas hölzern, ich habe aber keinen Vergleich.
Die Straßenbahn der Lust hält an vielen Kreuzungen. Zuerst zögerst du noch, ob du überhaupt einsteigen sollst. Du erinnerst dich vielleicht an eine alte Dame, die dir gesagt hat, dass du es immer wieder tun wirst, wenn du es einmal getan hast. Dann, so sagte sie vielleicht, würden die Männer dir von der Stirn ablesen, dass du diese Sünde begangen hast. Und sie würden dann immer wieder das Gleiche verlangen.
Von 18 bis 25 - Einsteigen in die Straßenbahn der Lust - und eine Strecke fahren
Wo steigst du ein? Wenn du zwischen 18 und 25 bist, wirst du es voraussichtlich ernsthaft probieren. Mit einem jungen Mann, der ähnlich naiv ist wie du: große Illusionen in der Ferne, Sex in der Nähe, Risiko allgegenwärtig. Die braven Menschen unter euch reden vielleicht von Kindern, die Naiven von einem schönen Eigenheim im Grünen und die Romantiker(innen) und dem großen Glück zu zweit. Die Zukunft ist noch viel zu fern, um real zu sein. Du machst gerade irgendeine Ausbildung, wohnst noch bei deinen Eltern – alles, was eine erwachsene Person ausmacht, ist dir noch irgendwie fremd. Du weißt nicht, welchen Weg du einschlagen willst, welche Erfahrungen du unbedingt noch machen willst, bevor du heiratest. Erfahrungen sind wichtig – im Beruf, im sozialen Leben, beim Sex. Diese drei Faktoren werden dein Leben bestimmen, und je mehr Erfahrungen du damit sammelst, was du willst und was du nicht willst, was du kannst und was du nicht kannst, umso mehr entwickelt sich deine Persönlichkeit.
Von 26 bis 30 - die Erfahrungen nutzen
Die benötigst du, um das Leben zu gestalten, wie du es willst. Früher oder später wirst du gefragt, als was du dich siehst. Andere wollen wissen, wie dein Sozialstatus aussieht, ob und wann du dir Kinder wünscht, wie du diene Karriere planst und (sehr verhalten) welche Lüste du beherrscht.
Die Lüste werden oft ignoriert, weil „man“ nicht darüber redet. Selbst, wenn du weißt, welche Lüste dich antreiben oder welche deiner Liebeskünste anderen Freude machen, wirst du nur dann einen Gewinn davon haben, wenn du sie einsetzt. Solange du mehr oder weniger „erträgst“, wie andere dich behandeln, werden weder deine Wünsche erfüllt, noch kannst du deine Fähigkeiten einsetzen, um jemanden an dich zu binden.
Von 31 bis 40 - weiterfahren oder noch mal umsteigen?
Diese Phasen sind meist irgendwann gegen 30 abgeschlossen. Im folgenden Lebensjahrzehnt, also etwa zwischen 31 und 40, kannst du die Weichen noch mal nachstellen: Die drei Faktoren Soziales, Karriere und sexuelles Verlangen können sich wandeln. Ein neuer Partner? Sich vom alten Partner befreien? Ein Kinderwunsch? Eine radikale berufliche Veränderung? Eine völlig neue Ausrichtung des gesamten Lebens? Dafür ist es noch nicht zu spät. Wenn du weißt, was du willst und die Kraft hast, es auch durchzuziehen“ – warum dann eigentlich nicht? Auch die Sexualität ändert sich, wandelt sich mehr und mehr von einem Bedürfnis zum lustvollen Erleben. Manchmal wirst du eine sinnliche Abweichung denken – und vielleicht auch daran, dich darin zu versuchen.
Ab 40 - dein Freifahrschein auf allen Strecken
In welche Straßenbahn du ab 40 einsteigst? Wenn du bis dahin nicht sozial gebunden bist, hast du dir freie Wahl. Die Möglichkeit, zu wählen, gibt dir eine größere Freiheit, deinen eigenen Weg zu gehen – mit einem Mann oder ohne und ein bisschen Nascherei an den schrecklich süßen Verlockungen, die du bisher gemieden hast. Du wirst dich wundern, wie viele Männer es gibt, die eine reife, erfahrene Frau suchen – und durchaus eine Weile an ihr hängen bleiben. Solange du dein gesundes Selbstbewusstsein behältst, kannst du ausgehen, mit wem du willst, schlafen, mit wem du willst und - falls du dich traust – Abenteuer erleben, mit wem du willst. Noch vor 50 Jahren hieß es, ab 40 würden Frauen zum „unsichtbaren Geschlecht“. Heute hingegen kannst bis weit über 50 „sichtbar“ bleiben und eine attraktive Partnerin sein.
Darüber hinaus … solange es deine Gesundheit zulässt, kannst du dein Leben lang sein, was du willst und lieben, wie du willst.
Und ich denke, diese Perspektive ist wichtiger als die momentane Entscheidung für eine Beziehung. Der nächste Mensch, den du triffst, hat andere Vorteile, andere Bedürfnisse und er schenkt dir seine Liebe auf andere Weise.
Für die meisten Männer sind Frauen eine sichere Quelle für sexuelle Befriedigung. Die Freundin oder Ehefrau beanspruchen sie exklusiv – und weder jemand noch etwas darf ihnen dabei in die Quere kommen:
1. Wenn sie einen Vibrator benutzt, dann nimmt er an, dass sie in Gedanken mit irgendjemandem fremdgeht.
2. Wenn sie zärtlich mit einer Frau wird, dann ist diese Frau eine Konkurrenz, weil sie möglicherweise erfülltere Orgasmen schenkt.
3. Wenn sie einen Lover hat, dann ist dieser keine Ergänzung zu dir, sondern ein Rivale.
Das heißt letztlich, dass fast jeder Mann verstört reagiert, sobald die „eigene“ Frau irgendeine andere Form der Lust bevorzugt, als seinem Penis und seiner Prostata ein kurzes, erregendes Gefühl der Befriedigung zu geben.
Männer sind Neugierig, wie ihre Frauen wären, wenn ...
Dennoch sind Männer neugierig, Sie stellen sich die Frage „was wäre, wenn …“ halb verängstigt, halb herausfordernd. Die Frage ist stets: „Wie verhält sie sich (oder wie würde sie sich verhalten), wenn sie masturbieren würde, mit einer Frau Sex haben würde oder sich mit einem männlichen Lustgenie ins Bett fallen lassen würde?“
Das Spiel mit der virtuellen Sex-Realität
Was wird der Ehemann empfinden, wenn er weiß, welche Fantasie „seine“ Frau dabei auslebt? Wenn Eifersucht, Abscheu, Begierde und viele andere Emotionen in ihm hochkochen?
Das Spiel mit dem „virtuellen Anderen“ kann überall stattfinden – während er sich von seiner Frau konventionell befriedigen lässt, kann er eine andere, heftigere Fantasie haben. Und zweifelsfrei kann es „ihr“ genauso gehen. Er weiß es, denn er masturbiert selbstverständlich, wie nahezu jeder Mann. Und manchmal wird er überlegen, ob sie masturbiert (was sie wahrscheinlich tut) und welche Fantasien sie dabei hat. Fast sicher ist, dass er oder sie dabei auch an Dreier, Orgien, Voyeurismus oder SM-Aktivitäten denkt.
Wenn es so erregend ist - warum wird es dann nicht real?
Was ist nun, wenn dieses Spiel beiden bewusst wird? Wenn sie darüber zu reden beginnen? Oder gar, wenn sie versuchen, die Fantasien ein wenig mit Realitäten zu füllen?
Manche von euch haben es schon getan, andere wünschen sich diese Offenheit – und wieder andere befürchten sie. Fast alle denken: Wenn wir es wirklich tun, was macht das mit unserer Beziehung? Geht sie in die Brüche, wird sie intensiver oder ändert sich vielleicht gar nichts daran?
Paradoxe Verhältnisse - was der Partner nicht weiß, macht ihn nicht heiß
Ja nach Sichtweise ergeben sich zwei Schlüsse. Der erste wäre, dass die große Mehrheit der festen Paare befürchtet, eine Ausweitung ihrer gemeinsamen sexuellen Beziehung auf weitere Personen könnte schlimme Folgen haben.
Der andere Schluss wäre allerdings, dass die Mehrheit der verheirateten Menschen bevorzugt, weiterhin „Fremdzugehen“, also der Partnerin oder dem Partner die „Seitensprünge“ zu verheimlichen oder stillschweigend hinzunehmen.
Am Ende wir es für die meisten so sein, dass Offenheit und Ehrlichkeit eine größere Gefahr darstellen als geschickt getarnte Parallelbeziehungen. In den letzten Jahren kam die Suche nach einem „Casual“-Partner dazu. Nüchtern betrachtet ist dies eine Person, die sich wirklich nur für die Lustbefriedigung außer Haus eignet – und für nichts sonst.
Sobald die Liebe den Zeitgeist berührt, wird sie entweder verherrlicht oder herabgewürdigt. Das ist sehr leicht, weil der Begriff „Liebe“ so unscharf ist, dass nahezu jede Bindung eines Menschen an einen anderen als „Liebe“ bezeichnet wird. Ich bleibe hier bewusst bei den Menschen und ignoriere alles, was sonst noch unter den Begriff der Liebe fallen mag.
Ja, es ist die „innige Zuneigung eines Wesens zu einem andern“, wie es Luther einmal formulierte.
Doch reicht dieser Satz?
Bevor die Liebe zum Schlagwort wurde, waren die meisten Dichter und Philosophen der Meinung, nur die „innige Freundschaft“ zwischen Männern, die dem Herzen entspringt, ließe sich mit dem Wort „Liebe“ zutreffend beschreiben. Die Kirchen bestanden darauf, dass die eigentliche „Liebe“ nur gegenüber Gott empfunden werden könnte.
Die Minne und die „niedrigen“ Triebe
Die „niedrigen Triebe“, also die Liebe in Verbindung mit sinnlichem Verlangen, wurden zunächst generell als „Minne“ bezeichnet. Die Begriffe der „hohen Minne“ und der „niedrigen Minne“ überschnitten sich teilweise, und dennoch wurde die unerfüllbare Liebe später häufig als „hohe Minne“ bezeichnet. Sobald das sinnliche (sexuelle) Verlangen die größere Rolle spielte, sprach man eher von der „niederen Minne“. Viele Menschen glauben bis heute, dass darin eine „höhere Wahrheit“ liegt.
Die Veredlung der Liebe - und die Schlitzohren
In Wirklichkeit wurden solche Begriffe gebraucht, um die „Liebe“ oder eben auch die „Minne“ zu veredeln. Denn der Troubadour (Minnesänger) konnte recht unterschiedliche Ziele anstreben – sein Liebeserfolg hingegen war allein von der Gunst der Dame abhängig. Im 12. Jahrhundert, zur Blütezeit des Minnesangs, waren die Troubadoure so schlitzohrig wie die „feinen“ adligen Damen. Veredelt wurde ihr Tun erst im 19. Jahrhundert durch den Komponisten Richard Wagner und seinen „Tannhäuser“ - und erst im 20. Jahrhundert, verfestigten deutschtümelnde Schulmeister diesen Eindruck.
Die Liebe zu Frauen war auch in späteren Zeiten ein heikles Thema. Die Frage, die sich viele Literaten, Philosophen und Ärzte (später vor allem Psychiater) stellten, bestand darin, ob Frauen überhaupt zur innigen Liebe fähig waren. Noch im 19. Jahrhundert wurde bezweifelt, ob Frauen ein „sinnliches Verlangen“ hätten, obgleich die Liebesheirat bereits zur Regel wurde und sich die bürgerliche „Normalität“ langsam auflöste.
Gegen die falsche "Normalität" der Vergangenheit
Wer heute die „alten Zeiten“ wieder herbeisehnt, sei es politisch, ethisch oder in anderer Weise, sollte sich klar sein: Der Weg dahin führt in die Unfreiheit, in die Fremdbestimmung und in lebenslange Abhängigkeit. So etwas wie „Normalität“ existiert nicht - sie wird von betont konservativen Kräften herbeigeredet.
Schauen wir stattdessen mutig und selbstbewusst in die Zukunft, um die Freiheit und Gleichheit zu wahren und zu vertiefen. Und versuchen wir, die dunklen Kräfte zu bannen, die uns mit Lug und Trug in die angebliche „Normalität“ einer „guten alten Zeit“ zurückführen wollen, die es niemals gab.
Bild: Der Minnesänger Dietmar von Aist als fahrender Händler. Aus dem Codex Manesse.