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 Liebeszeitung - Liebe, Lust und Sex
Warnung! Teile dieser Texte könnten mithilfe menschlicher Intelligenz erzeugt worden sein.

Ist die Liebe die neue Religion?



Als ich es zum ersten Mal las, habe ich noch darüber weggelesen – „Liebe ist die neue Religion“, heiß es da kürzlich in einem Frauenforum, und als ob das nicht schon dem Fass den Boden ausschlagen würde, kommt nun sogar noch ein Verleger (Eichborn) und biedert sich bei seiner Leserschaft mit diesem Klappentext an: „Liebe, wie wir sie heute kennen, ist an die Stelle getreten, die früher allein die Religion innehatte.“

Na schön. „Höret ihr Mönche, der Weg ist gefunden“ hatte Buddha einst verkündet – und seine Lehre hat immerhin bis heute Bestand, so wie auch die vieler anderer Religionsstifter – aber in der Liebe? Folgen wir nicht den falschen Gurus, wenn wir uns an die Schwätzer anhängen, die nun die Liebe zur Religion der Neuzeit machen wollen?

Falsche Gurus und Waschmittelwerbung

Heute verkaufen die falschen Gurus ihre Weisheiten wie Waschmittel. Im Fall der Liebe heißt der Gott, dem alle folgen, Wissenschaft, und ihre Propheten sind Soziologen, Psychologen und Redakteure. Sie nehmen ihre Münder voll, und behaupten beispielsweise, den „komplexen Liebescode entschlüsselt zu haben“. Klar, wenn man Computer brauen kann, kann man auch hartnäckige Rotweinflecken aus blassrosa Tischdecken entfernen, wie es die Jahrmarktsschreier behaupten. Hatten wir nicht neulich gehört, das menschliche Genom sei so gut wie entschlüsselt? Ja, wenn man das kann, dann kann man doch auch den Liebescode entschlüsseln – das ist doch eine Kleinigkeit, nicht wahr?

Leider nicht – und die Menschen wissen, dass es nicht möglich ist. Natürlich glaubt niemand außerhalb der Elfenbeintürme, in denen Philosophen, Psychologen und Soziologen ihre Gedankenstränge spinnen, dass Liebe die neue Religion ist – aber man kann es ja mal in die Welt hinausposaunen. Schicke Behauptung, nicht wahr?

Zur Religion gehören Gottheiten

Allerdings fehlt da alles, was zu einer Religion gehört: Götter zum Beispiel, glaubwürdige Religionsstifter, Menschen, die sich im Namen der Herrin der des Herrn versammeln. Dabei hatte die Liebe doch schon einmal eine Göttin: Astarte (die war nicht so übel, wie sie im Alten Testament gemacht wird), oder ihre Nachfolgerin Aphrodite.

Doch heute: Da produzieren ein paar Leute bedrucktes Papier. Ich kann nur hoffen, dass es schnell vergilbt. Liebe ist keine Religion, und sie hat auch nicht deren Funktion.

Mann kann nicht decodieren, was nicht codiert ist

Was aber ist denn nun die Liebe? Und gibt es einen Liebescode, den man „knacken“ kann? Da fällt mir die Metapher einer Tür ein, die sich nicht öffnen lässt: Kein Schlüssel will für das Schloss passen, kein Dietrich kann sie öffnen, keine Codekombination funktioniert. Ratlos gehen die Spezialisten heim. Schließlich kommt ein verliebtes junges Mädchen, das keinen Schlüssel mit sich trägt – und die Tür öffnet sich ihr. Es gab niemals ein Schloss – und es gab auch keinen Code. Beides befand sich nur im Hirn derer, die nicht lieben konnten.


Die Fakten - leider nicht ganz einfach

Lassen Sie mich jetzt konkreter werden: Sie warten doch auf Fakten, nicht wahr?

Das wäre zunächst einmal die Natur, die bestimmte Informationen so in uns eingeprägt hat, dass wir sie können. Bereits junge Mädchen können flirten, auch wenn es ihnen niemand gezeigt hat. Die Zivilisation, vielleicht auch das viele „Rauschen“ in der modernen Großstadt-Kommunikation heben Männer ein bisschen davon abgebracht, all diese Signale zu verstehen. Es ist richtig, dass sie „codiert“ gesendet werden, doch das ist banal: Die Menschen und Säugetiere senden alle Körperäußerungen an ihre soziale Gemeinschaft in Codes. Die „Decodierung“ ist nicht viel Wert – man kennte diese Zeichen seit Jahrhunderten, und sie sind alle mindestens seit Jahrzehnten ausführlich beschrieben, mitsamt der Spiele und Rituale, innerhalb derer sie gesendet werden.

Neben der Natur finden wir die Kultur. Sie bringt Regeln hervor und verwirft sie auch wieder. Was wir heute als "gesichert" annehmen, landet morgen auf dem Müll der Geschichte. Es gibt unendlich viele Beispiele dafür, wie sich Forscher irren. Das eklatanteste Beispiel ist, die Behauptung, dass Frauen kein eigenes sexueller Verlangen hätten - sie stammt aus einem 1868 erschienen Standardwerk, dessen Behauptungen bis ins 20. Jahrhundert hinein abgekupfert wurden

Die Liebe - ein wundervolles Spiel

Es ist für mich immer wieder aufregend, meinen Mitmenschen zuzusehen, wenn sie kommunizieren. Die meiste von ihnen schaffen es nicht, sich selbst in der Situation zu beobachten, in der sie sich befinden. Metakommunikation, das angebliche Wundermittel, funktioniert zumeist deshalb nicht, weil die Menschen gar nicht realisieren, dass sie sich bei der Kommunikation in einem Spiel befinden, dass sie gelegentlich überwinden müssen. So ist es auch in der Liebe: Die Menschen sehen nicht, dass sei ein Spiel miteinander spielen, und obgleich dieses Spiel ein wundervolles, sehr erfüllendes Spiel sein mag, wollen sie nicht, dass ich es ein Spiel nenne. Der bekannte Psychiater und Psychiatrie-Kritiker Ronald D. Laing schrieb einmal, wie aussichtslos es ist: „Sie spielen ein Spiel. Sie spielen damit, kein Spiel zu spielen“. Wer es ein Spiel nennt, wird ausgeschlossen.

Liebe ist keine Religion, aber völlig erklärbar ist sie auch nicht

Warum ich das so schreibe? Vor allem, weil es keinen Sinn hat, in der Liebe irgend etwas verbindlich erklären zu wollen. Was Liebende „wirklich“ empfinden, wenn sie einander lieben, ist so unmöglich festzustellen wie die Frage an ein Kind, was eigentlich „schön Spielen“ bedeutet. Wenn ich auch nur versuche, es zu erklären, zerstöre ich das, was es mir bedeutet.

Alles, was es zur Liebe zu sagen gibt, ist eine Hülle. Alle Menschen, die beschreiben, leben davon, zu beobachten. Doch es kommt drauf an, wie sie beobachten. Man kann die Liebe nicht beobachten, wenn man sie nicht liebt. Nun gut, falls ihr bisher gelesen habt, liebe Freundinnen und Freunde: Wir hier lieben die Liebe – und deshalb beobachten wir anders, denken wir anders, analysieren wir anders und schreiben wir anders.

Titel: Bild von Dante Gabriel Rossetti, "Astarte"

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