Ich hatte gehofft, dass dieses dummdreiste Gerede darüber, wie sehr wir alle in der Steinzeit verwurzelt wären, einmal verstummen würde.

Das Geschwätz vom Steinzeitmenschen in uns verdient wirklich einen anderen Namen als „dummdreist“. Ich akzeptiere, wenn jemand sagt, dass Natur und Kultur in uns Kämpfe ausführen – so etwas haben wir ja schließlich schon mal erlebt – und falls Sie es nicht erlebt haben sollten: mein Mitleid. Ich akzeptiere auch, dass wir neben den wenigen eigenen Erfahrungen, die wir auf Erden sammeln konnten, eine Menge angesammeltes, verinnerlichtes Wissen der Evolution in uns steckt. Warum sollte es nicht "nachhaltig" wirken?

Nur, wen jemand uns sagt, dass wir irgendwie in der Steinzeit stehen geblieben sind, dann sage ich: „Ach, lieber Herr (liebe Dame), könnten sie nicht noch einmal zur Schule gehen und ausnahmsweise Mal etwas Logik erlernen?

In der Steinzeit lernte der Mensch, sinnreiche Werkzeuge herzustellen - aber lernte es alle?

Also schön – vor mir blinkert ein Artikel aus dem FOCUS auf dem Bildschirm. Der Mann, der da zu mir spricht, hat selbstverständlich studiert und er sagt uns: „Der Steinzeitjäger in uns fühlt sich unbehaglich in unserer Kultur.“ Aha, der „Steinzeitjäger“ in uns. Fühlen Sie ihn, den „Steinzeitjäger?“ Nein? Das macht nichts, weil Sie ja (möglicherweise) nichts studiert haben oder allenfalls etwas –Logisches, das nicht mit Ethno—„ beginnt. So richtig „weiß“ es der Mann auch nicht, der es gesagt hat, weil er nicht in der Steinzeit gelebt hat. Sagen wir mal so: Er vermutet, dass „Steinzeitjäger“ in einer ganz bestimmten Art und Weise gejagt haben, und dass genau diese Art zu jagen sich in die Hirne eingepflanzt hat – bis heute. Der beste Einwand wäre natürlich: „Ja. Mr. Ethnologe, wenn der Steinzeitjäger so wichtig war, war er auch der Mann, der die Steine gemacht hat? Ich meine, diejenigen, die diese spitzen Steine hergestellt haben, die man beispielsweise für Speere benötigte?“ Wenn man (sagen wir mal) Frauen nicht mit zur Jagd nahm, weil sie zu wertvoll für den Fortbestand der Gruppe waren, nahem man dann die wertvollen Steinwetzer mit, deren händisches Geshick man benötigte?

Ein Steinwurf macht noch keine Steinzeit

Die Steinzeit war eine lange Menschheitsgeschichte– eine sehr, sehr lange. Man nennt sie Steinzeit, weil die Werkzeuge, die der inzwischen aufrechtgehende Affe, der langsam zum Menschen mutierte, damals Werkzeuge aus Stein verwendete. Wir erinnern uns: Vom Menschen im weitesten Sinne kann man erst sprechen, wenn er einen Stein nicht nur aufhebt und dem nächsten Kaninchen, das vorbeihoppelt, vor die Birne knallt, sondern wenn er beginnt, Steine zielgerichtet so zu bearbeiten, dass Werkzeuge entstehen.

Das angebliche "Unbehagen des Steinzeitjägers" begann vor 11.000 Jahren

Das Unbehagen des Steinzeitjägers muss früh begonnen haben, wenn der Herr Ethnologe recht haben sollte. Hätte er Zahlen und Fakten benutzt, so hätte er das Unbehagen sogar datieren können: Das Neolithikum, die Jungsteinzeit, schickte den Urzeitjäger nach und nach in Rente. Wer in der Schule ein bisschen aufgepasst hat, wird sich erinnern: Damals, gegen 11.000 vor Christi Geburt, begann eine Epoche, in der Ackerbau und Viehzucht eine große Rolle spielte. Die Sache zog sich zwar ein paar Jahrtausende hin und verlief damit – aus heutiger Sicht – sehr langsam. Dennoch blieb dem „Steinzeitjäger“ eine genügend lange Zeit, um zum Ackerbauern und Viehzüchter zu werden.



Da wirkt so ein Satz ein bisschen lächerlich, nicht wahr (zitiert nach FOCUS):

Es würde uns eher entsprechen, in kleineren Gruppen zuhause zu sein, in denen jeder den anderen kenne, wo es wenig Besitzunterschiede gebe und diejenigen das Sagen hätten, die mit Kompetenz punkten könnten.

Na schön, solche einen Status hat eine Gruppe Affen im Leipziger Zoo vermutlich auch, obgleich sie keine Jäger sind.

Die Partnerwahl - "genau wie in der Steinzeit"?

Doch nicht nur der Jäger geistert in den Köpfen herum, sondern auch ein Schema, das angeblich aus der Steinzeit stammt: unsere Partnerwahl. Da setzt doch gleich jemand nach, der es wissen will. Diesmal ist es ein Experte von der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er beruft sich ebenfalls auf „unsere ferne Vergangenheit“, auch Steinzeit genannt – und der liest offenbar Zeitung, denn er weiß: So was würde in „Zeitungsannoncen unter der Rubrik ‚Partnersuche‘ ganz deutlich“. Warum das so ist, erläutert dann der FOCUS:
Männer interessierten sich dort vor allem für junge Frauen, von denen zu erwarten sei, dass sie Kinder gebären könnten. Frauen hingegen suchten besonders häufig Männer mit hohem Prestige und ausreichend Besitz, die in der Lage seien, den Nachwuchs zu versorgen.

Genau, genau … wie in der Steinzeit, nicht wahr? Erinnern wir uns mal: Das war die Zeit, von der Kollege Ethnologe gerade noch gesagt hatte, dass die Menschen dort bestenfalls „wenig Besitzunterschiede“ hatten (was übrigens zutrifft). Der Schuss ist aber der Nachsatz: „die in der Lage waren, den Nachwuchs zu versorgen“. Wer versorgte denn, bitte schön, bei den Horden, die durch die Savanne zogen, den Nachwuchs? Der Vater? Ach – und welcher der infrage kommenden Väter denn, bitte schön? Und wie stellte man als Steinzeitmensch so etwas fest?

Wie interessant - Sie haben also bereits in der Steinzeit gelebt?

Wenn Ihnen heute jemand sagt, sie würden wie ein Steinzeitmensch reagieren, dann fragen sie ihn doch einfach mal, wo er denn die Beweise für die sozialen Verhaltensweisen und das Gefühlsleben der Steinzeitmenschen gefunden habe. Oder schenken Sie ihm eine Tageskarte für den Leipziger Zoo, um Beobachtungen an heute noch ähnlich lebenden Verwandten des Homo Sapiens zu machen.