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 Liebeszeitung - Liebe, Lust und Sex
Warnung! Teile dieser Texte könnten mithilfe menschlicher Intelligenz erzeugt worden sein.

Sehkorrektur bei Lust und Liebe

moral: manchmal hilft eine korrektur der sichtweise


Werfen wir einen kurzen Blick auf die Liebe: da sitzen Frauen um die 40 im Wartesaal zum großen Glück, und sie sind keinesfalls graue Mäuschen, sondern attraktiven Frauen, die „voll im Leben“ stehen, und da ist eine Fernsehsendung, die versucht, uns zu sagen, warum diese Frauen nicht geküsst werden. So war es gestern im ZDF, bei der Sendung „37 Grad“ mit dem Titel „Karriere und kein Kuss“.

Ob die Dokumentation des Liebesverlangens erfolgreicher Frauen um die 40 gelungen ist? Ja, wenn man konservative Ansichten über Beziehungen, Frauen und Moral hat. Dann ist die Frau von 40 möglicherweise erfolgreich, aber immer noch kein eigenständiges sexuelles Wesen, und dann muss sie einerseits den Erwartungen des 19. Jahrhunderts genügen, was ihre Wohlanständigkeit betrifft und darf andererseits bereits den Männern zeigen, wohin der Weg im Beruf geht.

Nicht nur in diesem Bericht, sondern auch sonst fällt auf: Frauen wird immer noch nicht zugebilligt, „ganz Frau“ zu sein und sich als sinnenfrohe Menschen darzustellen. Das 19. Jahrhundert feiert im 21. Jahrhundert eine neue Blüte: Damals schrieb der unsäglich einseitige, aber leider bis heute anerkannte Wiener Psychiater Krafft-Ebing, sinngemäß, dass Frauen überhaupt keine eigenständige Lust hätten. Damit reflektierte er die Meinung des damaligen Bürgertums, dessen Meinungen wir eigentlich für längst überwunden hielten.

Doch diese Meinung scheint tief in der Seele der Journalistinnen und Journalisten zu wohnen, die sich die längst fällige Augenkorrektur nicht antun wollen. Frauen als eigenständige sexuelle Wesen? Gar noch solche, die handeln, wie sie wollen, gegebenenfalls sogar höchst egoistisch? Die gibt es nicht, weil es sie nicht geben darf.

Wer die Presse der letzten Wochen aufmerksam verfolgt hat, konnte kaum daran vorbeikommen, dass der Budapester Versicherungs-Orgie eine Empörungsorgie der schreibenden Biederfrauen und Biedermänner folgte. Cassy sagt dazu in ihrem Blog klar, was sie meint:

Hätten sich die Teilnehmer für die € 83.000,00 nur volllaufen lassen und wären sturzbetrunken am nächsten Morgen ins Bett gefallen, würde heute wohl kein Hahn danach krähen.


Nun aber krähten die Hähne um die Wette, um in Moral zu machen. Da wird darauf hingewiesen, dass Frauenquoten so etwas hätten verhindern können, aber das ist noch nicht der Gipfel der Albernheiten: Die Männer sind bekanntlich an allem Schuld, ja wirklich restlos an allem, so sehr, dass Sybille Berg sich veranlasst sah, zu schreiben:

Wollen Männer Geschlechtsverkehr haben, dann kaufen sie sich Sex - und finden das normal. Gesellschaftlich ist das genauso akzeptiert wie der Verzehr von Kaviar. Ich will das alles nicht.


Nun dürfte kaum interessant sein, was Frau Berg will, sondern ob ihre Einschätzung in ein Medium wie SPON gehört, aber das ist eine Frage des guten Geschmacks. Viel wichtiger wäre, zu fragen, wo Frauen, die keine Zeit für einen Dauerbrenner als Freund oder Ehemann haben, sich ihre Lüste befriedigen lassen – und das ohne Häme, wenn ich bitten darf. Denn es ist nicht die Frage, ob eine Frau dies „tun sollte“ oder „nicht tun sollte“, sondern ob ein Bedürfnis nach der Erfüllung der „kleinen Lüste“ besteht.

Wer bezweifelt, dass es diese Bedürfnisse gibt, darf sich gerne über die Absatzzahlen von Vibratoren, den weiblichen Sextourismus, die Inanspruchnahme von männlichen „Begleitern“ oder (nicht zuletzt) von Casual-Dating-Agenturen informieren.

Dabei ist gar nicht die Frage, was „richtig“ und was „falsch“, was gesellschaftlich „verwerflich“ und was „wünschenswert“ ist – darüber mag die Kulturkritik fabulieren. Wichtig ist zunächst einmal, dass Frauen derartige Wünsche haben und sie sich auch erfüllen.

Für manche Bürgerinnen und Bürger- also nicht nur für Journalistinnen und Journalisten - wäre es an der Zeit, einmal eine Sehkorrektur vorzunehmen und im 21. Jahrhundert anzukommen. Dazu wäre es sicherlich sinnvoll, von vornherein eine Gleitsichtbrille vorzusehen: Damit diese Frauen und Männer einmal lernen, in der Nähe genau so scharf zu sehen wie in der Ferne, denn gerade im Nahbereich, also bei sich selbst, lässt die Sehschärfe bei vielen offenbar stark nach.

Ach, sie wollen noch wissen, welche Brille ich trage? Natürliche eine Gleitsichtbrille. Was dachten Sie?

Bild oben © 2007 by orderlyschism

Originalzitat Krafft-Ebing:

Ist (das Weib) geistig normal entwickelt und wohl erzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes. Wäre dem nicht so, so müsste die ganze Welt ein Bordell und Ehe und Familie undenkbar sein. Jedenfalls (ist) das Weib, welches dem Geschlechtsgenusse nachgeht, (eine) abnorme Erscheinung.

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