Die Etepetete-Welt und der lustvolle Kuss
einst küsste der galan die kleidung
Doch „offiziell“ liegt in den Redaktionen unserer bürgerlichen Presse längst die Schere auf dem Redakteursschreibtisch, wenn es um Sinnlichkeit geht – und das ist am Tag des Kusses nicht anders. Man küsst nichts als die Lippen, genauer gesagt, diejenigen Lippen, die wir unter der Nase im Gesicht finden und die von den Damen gerne rötlich eingefärbt und mit sinnlichem Glanz versehen werden. Die anderen Lippen, die des „Schattenmundes“, - igitt, wer würde denn die schon küssen? Auch die anderen Körperstellen werden – fast selbst verständlich – nicht erwähnt, auch wenn das berühmteste deutsche Zitat auf einen Zungenkuss in einem anderen Feuchtgebiet hindeutet.
„Oh wie gerne tu ich küsse von ihren Lippen saugen“, und was dann noch fehlt, wird mindestens gelegentlich erwähnt – die Zunge, die ihren Weg in den Mund der Damen sucht, züngelnd wie eine Schlange, verführerisch, sinnlich und bedeutungsvoll. „Kind, tu es nicht“, sagte da Tante Elfriede, „wenn er erst einmal in deinen Mund eingedrungen ist …“ und dann schweigt sie schamhaft, errötet, und denkt an ihre eigene erste Verführung, die mit einem Zungenkuss begann.
Männer küssen gerne Frauenbrüste – aber ist diese Erwähnung nicht bereits zu viel für die neue Etepetete-Moral? Müssen wir schweigen von Menschen, die es lieben, Finger, Handinnenflächen, Zehen oder Füße zu küssen?
Im Gegensatz zum Liebesakt, der ja bekanntlich nicht beliebig oft vollzogen werden kann, (jedenfalls von Männern und ohne blaue Pillen) können Frauen und Männer einander nächtelang mit Küssen verwöhnen.
Wenn es nicht gerade nächtelang sein muss – na ja, dann könntet ihr doch heute damit anfangen, oder nicht? Küssen kann man einen Menschen vom Scheitel bis zur Sohle – und wenn er es an der einen oder anderen Stelle nicht mag, dann soll er es bitte sagen – und natürlich erst recht dann, wenn er es besonders mag.