Die legendäre „Gartenlaube“ war als Familien-Unterhaltungsblatt um die vorletzte Jahrhundertwende so etwas wie eine „Familienillustrierte“, jedenfalls in den Jahren 1880 – 1904. Parallel dazu gab es zahllose Mädchen- und Hausfrauengazetten mit Erbauungsgeschichten mit Anklängen an die inzwischen völlig verbürgerlichte „romantische Liebe“.
Romantische Liebe - eine literarische Pest, aber unausrottbar
Die „romantische Liebe“ ist eine literarische Pest. Sie entstand aus dem Wunsch, der „Konvenienzehe“ des „besseren Bürgertums“ eine Märchenwelt entgegenzusetzen, in der sich Menschen begegneten, die dazu eigentlich gar keine Möglichkeit hatten. Wie in den Vorbildern, den Märchen der Gebrüder Grimm, begegnete das Aschenbrödel oder das Schneewittchen zumeist dem edlen Prinzen, der nun die Gestalt des aufrechten Menschen ohne Fehl und Tadel annahm. Da konnten die jungen Damen dann in ihren Betten seufzen und sehnen, träumen und fantasieren – und manche tun es noch heute.
Die bürgerliche Welt kennt Eheverträge, aber keine Romantik
Aus dieser Zeit stammt auch die Idee, dass sich eigentlich
Gegensätze anziehen müssten. Die Begegnung bürgerlicher Mädchen mit Abenteurern war so gut wie unmöglich, also log man sich Geschichten darüber zusammen. Dabei versuchte man, soweit es irgendwie schicklich war, noch eine „verhaltene Erotik“ beizumischen. Das musste sein, weil die bürgerliche Ehe mit ihren Eheverträgen, Geldbeigaben (
Mitgift) und anderen Absprachen keinen Raum für erotische Träume ließ. Da man ahnte,, dass sich die blassen Herren in Konvenienzehen sich später nur am Körper der Frau bedienen würden, um die eigene Lust zu befriedigen und gegebenenfalls Kinder zu zeugen, wurde der edle, zwar unpassende, aber unheimlich anziehende Fremde erfunden. Er war der Frau alles: Tröster ihrer Seele, sinnlicher, aber nicht aktiver Liebhaber ihres Körpers und vor allem ein Mensch, der sie „auf Händen trug“ und allemal vor dem Bösen beschützte.
Sex zerstört Romantik - die Lieblingsbehauptung
Sex kam nicht vor – um Himmels willen. Noch vor einigen Tagen zitierte eine Dame, die der Kitschliteratur offenbar nahesteht, Ian Mc¬Ewan, der über die Romantik-Schriftstellerin Jane Austen (frühes 19. Jahrhundert) gesagt haben soll (
Zitat):
Der Plot ist zwar immer gleich – ein Mann und eine Frau missverstehen sich über 400 Seiten, dann kommt der Durchbruch, und sie heiraten. Die ganze Geschichte wäre nicht möglich, wenn sie sofort Sex hätten.
Dieser Satz ist unglaublich entlarvend. Er drückt aus, dass die romantische Liebe eine Gefühlswelt ohne Geschlechtsverkehr bedeutet, und dass sie möglicherweise mit der Aufnahme des Geschlechtsverkehrs bereits beendet ist. Wäre es so, dann wäre die einschlägigen Werke „Mädchenromane“ mit dem Hintergrund: „Ach, Kind, wenn du es tust, ist der Zauber der Liebe vorbei.“
Die romantische Liebe gibt es - sie ist in den Köpfen, und bleibt auch dort
Nun ist es keinesfalls so, dass romantische Liebe nicht möglich ist – nur müssen wir uns davor hüten, die einschlägige Literatur als Vorlage zu nutzen. Sie ist wahrhaftig eine „Angelegenheit, bei der die Damen gerne das Wort führen“, aber keine Angelegenheit, die im realen Leben als romantisch erlebt wird. Denn die „romantische Liebe“, besonders, wenn sie nach Grimmscher Tradition „unegal“ erlebt wird, endet eher in einer heftigen Affäre als in einer Heirat. In der Tat sind die meisten Geschichten, die ich von Frauen selbst hörte, (also von nicht schreibenden Frauen) eher heftige, glutvolle und selbstverständlich sexuelle Affären gewesen statt Händchenhalten in der Gartenlaube.
Die Wahrheit ist nicht sehr gefragt, fürchte ich. Romantik ist wundervoll, aber die romantschen Stunden, Tage oder Wochen gehören den Liebenden allein, und nur sie wissen, welche „romantischen Komponenten“ ihre Begegnungen, Verlöbnisse, Ehen ONS, Affären oder Seitensprünge für sie hatten.
Wird die romantische Liebe öffentlich, dann verkommt sie meist zum Kitsch
Die Märchen für Erwachsene? Nur Literaturgläubige denken, sie würden ausschließlich in edlen, dicken Büchern veröffentlicht. Was heute herausgebracht wird, sind Groschenhefte in Buchform, und „echte“ Groschenhefte und illustrierte Illusionen gibt es weiterhin als Zucker auf die weiblichen Seelen, die entsprechend veranlagt sind.
Wir beschäftigten uns kürzlich schon einmal mit dem Thema im Rahmen unserer Rubrik "Partnersuche"
Bild: Titel des Magazins "Collier's" vom Januar 1945